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A . Die a l t k l a s s i s c h e n S c h u l e n , i n s b e s o n d e r e
R i c a r d o
Für die alte Schule des Individualismus, die sogenannte klassische
Schule, wie sie von François Quesnay und Adam Smith begründet,
von David Ricardo und seinen Nachfolgern fortgebildet wurde,
war die Wirtschaft ein Gegenstand, der nach naturwissenschaftlichem
Verfahren, dem Verfahren der Physik, erforscht werden muß, ein
Gegenstand, dessen Erscheinungen natürliche Notwendigkeit zu-
kam. Die aufeinander treffenden Eigennutze der einzelnen Wirt-
schafter auf dem Markte, beim Tausche, waren es für diese Schulen,
welche die Ur- und Grunderscheinung der Wirtschaft ausmachen.
Der Eigennutz bestimmte eindeutig die Handlungen der Wirt-
schafter, und dadurch war auch eindeutig das Ergebnis des Zusam-
mentreffens, des Verflochtenseins der Wirtschaftshandlungen, be-
stimmt — ähnlich wie die „Resultante“ bei Zusammentreffen von
Billardkugeln eindeutig bestimmt ist, nämlich nach dem Gesetze
des Parallelogramms der Kräfte.
War so der Tausch oder, was dasselbe ist, die Preisbildung die
Urerscheinung der Wirtschaft und wollte man diese nach den Ver-
fahren der Physik erforschen, so mußte man die Größen- und
Mengenverhältnisse dabei aufsuchen, also nicht das „Qualitative“
am Tausch, sondern das Größenhafte, Mengenhafte, das „Quanti-
tative“, nicht das Sinnvolle, sondern das Äußerliche, rechnerisch
Erfaßbare. 1 Rock = 20 Ellen Leinwand (um ein Beispiel anzu-
führen, das Marx verwendet) muß in mathematischer Bedeutung des
Wortes eine „Gleichung“ sein. Und wodurch ist das möglich? Nur
dadurch, sagt die Ricardoschule, daß gleiche Mengen von irgend-
einem Etwas in beiden Waren enthalten sind. Dieses Etwas sollte
nach Smith, Ricardo und Marx der Gehalt an Arbeitsstunden sein
(Arbeitswerttheorie). Wenn also gleich viele Arbeitsstunden („ein-
facher Arbeit“ oder „gesellschaftlich notwendiger Durchschnitts-
arbeit“) in verschiedenen Gütern enthalten waren, sollten sie glei-
chen Tauschwert, gleichen Preis auf dem Markte haben, das heißt,
sollten sie befähigt sein, eine Tauschgleichung zu bilden. Damit war
das mathematisch-mechanische Gesetz der Wert- und Preisbildung
gefunden, welches durch ein anderes mengenhaft-rechnerisches Ge-
setz, das „Gesetz von Angebot und Nachfrage“, näher bestimmt,