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Es wird bestritten, ob diese Stelle Eckeharten wirklich zugeschrie-

ben werden könnte. Wackernagel

1

z. B. hält sie für einen Einschub

des Mystikers von der Sterngassen. Dennoch kann man zugeben,

daß Eckehart auch diese Lehre vortrug. Bei der geringen Bedeu-

tung, die er den rein begrifflichen Auseinandersetzungen beimißt,

scheint es mir verständlich, daß er d a n e b e n auch eine andere,

aus der mystischen Auffassung kommende Lehre vertrat als die Spe-

zieslehre. So in der 60. Predigt bei Pfeiffer:

„Wird mein Auge aufgetan und auf das Holz geworfen durch Ansehen (Hin-

blicken) so bleibt ein Jegliches, was es ist, und werden doch im Vollzuge des

Hinblickens (,in der Wirklichkeit des Ansehens“) so sehr E i n s , daß man mag

sprechen, das Auge ist Holz und das Holz ist mein Auge. Wäre aber das Holz

ohne Materie und ebenso geistig wie das Gesicht (das Sehbild) meines Auges,

so möchte man sprechen in Wahrheit, daß in der Wirklichkeit meines Sehens

(,Gesichtes“) das Holz und mein Auge in e i n e m Wesen bestünden.“

2

In dieser unvergleichlich genialen Auffassung der sinnlichen Er-

kenntnis ist vom Abhauen der Bilder keine Rede mehr, dagegen

von der E i n h e i t des Sehens und des Gesehenen, des Empfinden-

den und des Empfundenen!

Welcher Art könnte diese Einheit sein? Meister Eckehart erläutert

sie meines Wissens nicht näher. Jedoch darf man diese seine Lehre

wohl so auffassen, als e r w e c k e der Sinneseindruck die in der

Seele schlafende Idee des Holzes zum Wissen, die Möglichkeit dieses

Wissens zur Wirklichkeit!

Das scheint uns auf die platonische Anamnesislehre (Wiedererin-

nerungslehre) zurückführbar, nämlich darauf, daß — nach Platons

bildlicher Darstellung — die Seele im Vorleben die Ideenwelt ge-

schaut habe, so daß sie die Ideen aller Dinge latent in sich trägt.

Alles Lernen ist dadurch Wiedererinnerung (Anamnesis). Nach

Platon, Aristoteles wie nach Eckehart ist demnach die Seele der In-

begriff aller Ideen (und Dinge). Aber nach Eckehart ist sie dies kraft

ihrer göttlichen Natur, kraft ihres Innebleibens in Gott, während

sie in der äußeren Welt weilt, kraft ihres Mitlebens mit Gott.

Otto Karrer und zum Teil vor ihm schon Josef Bach und Hein-

rich Denifle erwarben sich das Verdienst, Belege für die s c h o -

1

Wilhelm Wackernagel: Altdeutsche Predigten und Gebete, aus Handschriften,

Basel 1876, S. 435.

2

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, S. 193,

Zeile 2.