Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3738 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3738 / 9133 Next Page
Page Background

305

Wir dürfen hinzufügen, daß auch die eingebungsmäßig-ideenhafte

Erkenntnis, besonders in der Kunst, in gewissem Sinne ein Sein des

Gegenstandes ist. Der große Künstler lebt sich in seinen Helden

hinein, er ist im Schaffen des Kunstwerkes dieser Held! Und wie

der Künstler, so der Beschauer.

Von hier, vom mystischen und eingebungsmäßigen Denken aus,

ist demnach ganz allgemein das s o k r a t i s c h e Wort „Wissen

ist Tugend“, also Können, zu verstehen! Für die Geschichte der

Philosophie lernen wir daraus mit Sicherheit, daß Sokrates, der

allgemein als Rationalist gilt, auch eine echt mystische Seite in seiner

Philosophie hatte, was ja auch am besten die treue Gefolgschaft

seines Jüngers Platon erklärt. Und wieder erweist sich auch, wie

gleichartig die Wege der Mystik aller Zeiten sind.

In den altindischen Upanishaden bedeutet die Formel: „wer dieses

weiß“ soviel wie: „der vermag es“. Gottwissen ist dort auch Gott-

sein, daher auch Erlösung; das Brahman ist Wonne, wer es weiß,

ist Wonne

1

.

D. Das W e s e n d e r W a h r h e i t

Eckeharts hoher Begriff des mystischen Erkennens, welches ver-

borgen jeder anderen Erkenntnis zugrunde liegt, macht uns auch

seinen Begriff der Wahrheit verständlich. Sonst wird die Wahrheit

schon seit Aristoteles als Übereinstimmung des Gedankens mit dem

Gegenstande bestimmt. Ich selbst bestimmte sie als Übereinstim-

mung des Gedankens mit der Eingebung, wodurch die Überein-

stimmung mit dem Gegenstande zu etwas Abgeleitetem wird

(echte Eingebung ist immer wahr, aber ihre Erfassung im Gedanken

ist eine Fehlerquelle!

2

. Für die mystische Erkenntnis muß Eckehart

noch tiefer greifen. Er erklärt:

„Das ist Wahrheit, was offenbart, das ich in meinem Herzen habe.“

3

1

Vgl. z. B. Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s des Veda, 3. Aufl., Leipzig

1921, S. 479, Urihad-Aranyaka-Upanishad, 4, 4, 17 und öfter.

2

Vgl. mein Buch: Ganzheitliche Logik, Eine Grundlegung, aus dem Nachlaß

herausgegeben von Walter Heinrich, Salzburg, Klosterneuburg 1958 (= Stifter-

bibliothek, Bd 95 a—f). (jetzt: 2. Aufl., Graz 1972 = Gesamtausgabe Othmar

Spann; Bd 17).

3

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, Predigt

XXVII, S. 102, Zeile 33.

20 Kleine Schriften