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1 a s t i s c h e Auffassung der Erkenntnis bei Eckehart beigebracht
zu haben, von der man vorher nichts wissen wollte. Nach dem
Gesagten darf man aber füglich im Zweifel sein, ob die Genannten
durchaus im Rechte seien. Es handelt sich dabei erst in zweiter
Reihe um die Frage, wieweit in jenen scholastischen Stellen eine
angeblich „frühere Entwicklungsstufe“ vorliege oder die Belege
unecht seien — die Predigt 101 bei Pfeiffer scheint ja in der Tat
sehr fraglich —; vielmehr darum, inwieferne die von Eckehart
übernommenen scholastischen Begriffswerkzeuge im Zusammenhang
seiner Lehre überhaupt von Bedeutung seien. Eckehart wandte
solchen Fragen keine Aufmerksamkeit zu und übernahm natürlich,
was ihm die Bildung seiner Zeit bot. Wo es aber um das Mystische
selbst ging, da entwickelte er, gleichsam unbemerkt und mühelos,
seinen eigenen Lehrbegriff
1
.
So auch in der Lehre von der sinnlichen Erkenntnis.
Um dem Lehrbegriff der Sinneserkenntnis bei Eckehart auf den
Grund zu kommen, muß man tiefer gehen und jener letzten
E i n h e i t nachspüren, von der Eckehart im vorher Angeführten
spricht. Die Frage, welche Eckehart stellt, läßt die Vorstellung vom
Abhauen der Bilder beiseite und lautet vielmehr: wo liegt die letzte
E i n h e i t von Seele und Sinnlichkeit, von Geist und Natur?
Wer die Naturphilosophie Eckeharts studiert (bisher kam sie
merkwürdigerweise nicht ans Tageslicht), wird finden, daß für ihn
die G e m e i n s c h a f t des Menschen mit der Natur nicht einfach
als Tatsache hinzunehmen sei.
Wie kann die Natur erkannt werden? Diese Frage stellte Ecke-
hart zwar nicht ausdrücklich — das war der Naturphilosophie
S c h e l l i n g s Vorbehalten —, wohl aber dem Wesen der Sache
nach. Und seine Antwort mußte lauten: die Natur kann nur auf
Grund einer r e a l e n G e m e i n s c h a f t oder E i n h e i t mit
dem Menschen erkannt werden.
Während Schelling antwortete: sie wird erkannt, weil sie selbst
Geist ist (wie auch der erkennende Mensch); antwortet Eckehart:
sie wird erkannt, weil beide, Seele und Natur, in G o t t grün-
den, weil Gott „dem Steine ebenso nahe ist wie dem Menschen“
1
Von Einzelheiten, so der Lehre, daß das Auge farblos sein müsse, um Far-
ben zu sehen (farblos = Einheitsbezug), sehen wir hier ab.