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(nur, „der Stein weiß es nicht“, er hat kein Bewußtsein davon).
Diese Ü b e r s i n n l i c h b e g r ü n d e t e G e m e i n s c h a f t
u n d E i n h e i t ist es erst, wodurch nach Eckehart die Grund-
voraussetzung für die sinnliche Erkenntnis geschaffen ist; ebenso
wie für die begriffliche, ideenhaff-gattungsmäßige Erkenntnis. Wie-
der sehen wir, wie der Mystiker, wenn er die Begriffswerkzeuge
seiner Zeit gebraucht, hier die aristotelisch-scholastischen, etwas an-
deres aus ihnen macht.
Eckehart taucht alle Erkenntnis in ein göttliches Licht und
u n t e r s c h e i d e t s i e n a c h d e r N ä h e z u G o t t .
Daraus versteht man wieder, inwieferne die höchste, gottesnahe
Erkenntnis, die mystische, die Voraussetzung für die jeweils niedere
Erkenntnis bildet; mindestens latenter- und begrifflicherweise: das
heißt die h ö c h s t e E r k e n n t n i s m u ß n i c h t v e r -
w i r k l i c h t w e r d e n , d o c h i s t d e r G e i s t d a r a u f
a n g e l e g t . Darum führt Eckehart die Einsicht in das Wesen
der Erkenntnis auf den höchsten Gipfel, indem er erklärt: die
höchste Erkenntnis ist zugleich Seligkeit und die Wahrheit zugleich
Freiheit:
„Seligkeit liegt daran, daß man Gott erkenne.“
1
„Der Intellekt, in dem die Wahrheit ist, ist frei.“
2
1
Meister Eckehart: Paradisus anime intelligentis (Paradis der fornunftigen
sele), aus der Oxforder Handschrift Cod. Laud. Misc. 479 nach Eduard Sievers’
Abschrift herausgegeben von Philipp Strauch, Berlin 1919, Predigt 42, S. 94,
Zeile 25 (= Deutsche Texte des Mittelalters, Bd XXX).
2
Meister Eckehart: Lateinische Werke, Bd 4: Sermones, herausgegeben von
Ernst Benz, Stuttgart 1937, S. 160.