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304

C .

S c h a f f e n d e s E r k e n n e n ( E r k e n n e n a l s S e i n

d e s E r k a n n t e n )

I s t Erkenntnis ein Lebensvorgang, dann muß sich das auch be-

währen: Alles Wissen muß auf irgendeine Weise ein S e i n des Ge-

wußten sein; also nicht nur als Wissensvorgang ein Sein bilden,

sondern auch irgendwie des gewußten Gegenstandes! Weiterhin und

insbesondere muß dann das Gottwissen auch gleichsam ein Gott-

sein sein:

„Wer nicht vermag (das heißt kann, also ist), was er erkennt, das ist ein

Zeichen, daß er ewig Licht nicht empfinge. Der ewig Licht je empfing, der ver-

mag, was er erkennt.“

Dieses „vermag“ erklärt Eckehart weiter dahin:

„Wesentlich Vermögen ist Wille und Minne, wenn (diese beiden) ohne Ge-

zwänge leiblicher oder geistlicher Bilder sind.“

1

Der leiblich mitbedingte Trieb und die durch sinnliche Eindrücke

mitbedingte Erkenntnis ist demgemäß nicht auch schon das Sein des

Erkannten; der aus solcher Erkenntnis hervorgehende Wille kann

daher auch das Erkannte und Gewollte nicht schaffen. Wird da-

gegen, so dürfen wir Eckehart erläutern, das Erkannte sinngemäß

gewollt und geminnt, w e i l im Erkenner ein Sein des Erkannten

sich bildete, dann „vermag“ der Erkenner, was er erkennt. Darum

muß sich echtes, nämlich mystisches und rein ideenhaftes Erkennen

(so müssen wir Eckeharts Lehre verstehen), in das Sein des Er-

kannten umbilden, soll es ein wahrhafter Lebensvorgang sein.

Das gilt in klassischer Weise für die Gotteserkenntnis. Je wesen-

hafter diese ist, umso mehr ist sie Vergottung des Erkennenden,

umsomehr bildet er in sich göttliches Sein:

„Alles wird neu, gut, rein, lauter und heilig, indem es sich Gotte zukehrt.. ,“

2

„Gott ist ein Maß allerDinge

3

, und soviel ein Mensch mehr Gottes in sich

hat denn der andere, so viel ist er weiser, edler und besser denn der andere.“

4

1

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, Sprüche,

S. 667, Zeile 35.

2

Meister Eckehart: Lateinische Werke, Bd 4: Sermones, deutsch von Ernst

Benz, Stuttgart 1937, S. 149.

3

Bekanntlich ein Satz Platons (Gesetze, 716 c) — man merke hier wieder,

wie Eckehart diesen Satz durch kühne Anwendung ins Mystische umbildet.

4

Meister Eckehart: herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, Predigt

XXIII, S. 95, Zeile 16.