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Der Mensch wird aber nun in seiner Empfindungswelt erst recht
ein Fremdling der gesamten Natur gegenüber. Denn die Empfin-
dung bleibt bei dieser Anschauung gegenüber den Reizen schlecht-
hin „inadäquat“, „inkommensurabel“. Zum Beispiel haben die
elektromagnetischen Wellen, welche nach der Lehre der Physik die
Reize des Auges bilden, mit der Licht- und Farbenempfindung nichts
gemein; ebensowenig die Luftschwingungen, die Reize des Ohres,
mit der Tonempfindung; die Geschmacks- und Geruchsempfindun-
gen mit den chemischen Vorgängen, welche ihre Reize bilden; die
Wärme- und Druckempfindungen mit den physikalischen Vorgän-
gen, die in ihren Reizen beschlossen sind usw. — Die Lehre von
der bloßen „ S u b j e k t i v i t ä t d e r S i n n e s q u a l i t ä t e n “
war und ist noch heute die notwendige, logischerweise unvermeid-
liche Folgerung dieser physikalischen Befunde. Die Sinnesqualitäten,
z. B. Farbe, Klang, Wärme, sind darnach, obzwar durch objektive
Reize veranlaßt, nur in unserem subjektiven Erleben vorhanden. In
der Natur gibt es nicht Licht noch Klang, nicht einmal Härte und
Weichheit, Wärme und Kälte, sondern nur mengenhafte Verhält-
nisse gewisser Naturvorgänge (z. B. Schwingungen).
Eine unüberschreitbare Kluft trennt darnach die empfindende
Seele und den, auf Grund dieser Empfindungen, denkenden Geist
— aber nicht nur das! Der Sinn und die Wahrheit unseres gesamten
Empfindens und Denkens werden dadurch in Zweifel gezogen; und,
das Verblüffendste, Befremdlichste: auch die Wirklichkeit der Natur
selbst! Denn die Physik lehrt zwar, daß wenigstens tatsächliche
Mengenunterschiede in den Naturvorgängen bestünden; da aber zu-
letzt auch die physikalischen Versuchsgeräte von unseren sinnlichen
Empfindungen wahrgenommen werden, ist dem Zweifel keine
Grenze gezogen. Schließlich weiß niemand zu sagen, wo Täuschung
und Wahrheit, wo Subjektives beginne! Andererseits kann die Phy-
sik von ihren mathematisch gegründeten Befunden nichts zurück-
nehmen.
Und überhaupt ist nicht zu leugnen, daß die rein mengenhafte
(wir nennen sie am einfachsten ursächlich-mechanistische) Betrach-
tungsweise ihre hohe Fruchtbarkeit in der Geschichte der Wissen-
schaften längst erwies; damit aber auch ihre bedingungsweise Wahr-
heit und Berechtigung. Indessen, wenn sie ausschließlichen Gel-
tungsanspruch erhebt, anstatt als bloße U n t e r s t e l l u n g z u r