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Finden wir doch denselben Tatbestand im Verhältnis von Mensch

zu Mensch, von Geist zu Geist vor! Gewöhnlicherweise sind die An-

regungen und Veranlassungen, welche uns die Reize durch ihre

Kunde vom inneren Zustande des anderen geben, unentbehrlich.

Erröten und Erblassen des anderen regt uns nämlich nicht zu

„Schlüssen“ auf die inneren Vorgänge desselben an; auch nicht dazu,

in uns selbst jene Vorgänge wachzurufen, sie zu „reproduzieren“.

Nein, sie regen uns an, wie die deutsche Sprache tiefblickend sagt,

uns in den Anderen „zu versetzen“ — das heißt aber nichts anderes

als in eine unmittelbare Verbindung mit seinem seelischen Wesen

zu treten (was man sich etwa nach Art der hypnotisch-magnetischen,

sozusagen somnambulen Zustände oder auch der „Telepathie“ vor-

stellen mag). Das gesamte gesellschaftliche Leben, jede innere „Ge-

meinschaft“, „Gezweiung“ beruht darauf! Das Verhältnis von Geist

zu Geist ist grundsätzlich ein gegenseitiges Erwecken; und wie sollte

das anders geschehen, als in Unmittelbarkeit der Teilnahme, des

Verbundenseins, gleichsam des „Eingerücktseins“ in den Geist des

Andern?

In meinen gesellschaftswissenschaftlichen Arbeiten ist mir längst

klar geworden, daß die individualistische Vorstellung eines au-

t a r k in sich geschlossenen Einzelgeistes, welcher n a c h t r ä g -

l i c h in Verbindung mit dem anderen Geiste träte, ein Unbegriff

sei; der keine einzige gesellschaftliche Grunderscheinung zu erklären

vermag. Alle gesellschaftliche Erfahrung und alle eigene Lebens-

erfahrung widerspricht dem Begriffe eines in sich allein begründeten

und in sich abgeschlossenen, erst nachträglich durch Vermittlungen

sich mit den andern verbindenden Seelenlebens der Menschen.

So gesehen ist die Sonderstellung aller somnambulen Zustände

des menschlichen Geistes, insbesondere auch des hypnotisch-magne-

tischen Hellsehens weniger befremdlich als auf Grund der heute

herrschenden seelenkundlichen Lehrbegriffe. Insbesondere zeigt sich,

wie grundfalsch es ist, zur Erklärung der Sinnesempfindung aus-

schließlich von der stofflichen Seite auszugehen und die seelischen

Vorgänge einfach als „parallel“ und „korrekt“ zu behandeln. Als

Unterstellung des Verfahrens ist das freilich für die p h y s i o l o -

g i s c h e Forschung unentbehrlich; aber die Parallelismushypothese

darf die Untersuchung der Sinnesempfindung auf der anderen Seite

nicht geradezu problemblind machen!