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unbewußt, das Problem am klarsten in diesem Sinne behandelt. Stumpf schied in
jener Abhandlung bekanntlich das Psychologische in „Erscheinungen“ (Sinnes-
empfindungen und ihre Gedächtnisbilder), „psychische Funktionen“ (Akte und
Zustände wie: Zusammenfassen, Begriffsbildung, Urteilen, Gemütsbewegungen,
Begehren) mit ihren „Gebilden“ (wie: „Begriffe“, „Formen oder Gestaltquali-
täten“ und so fort) und endlich „Verhältnisse“ von Erscheinungen, sowie Funk-
tionen der genannten Art. Hiermit wären drei Teilinhalte des Ge- / samtganzen
der Psychologie unterschieden: Erscheinungen, Funktionen, Verhältnisse. Hätte
Stumpf seine Unterscheidungen nicht als „Klassifikation“ von Bewußtseinsinhalten
betrachtet, sondern als Versuch, die Organsysteme, Teilinhalte der Seele zu er-
fassen, so wäre auch seine Untersuchung darüber anders ausgefallen. Er hätte
nicht, wie er es tat, die (isolierte!) „Variabilität“ der verschiedenen Gruppen nach
naturwissenschaftlich-mathematischer Art untersucht — denn eine isoliert blei-
bende Veränderung eines Gliedes in einem Ganzen gibt es grundsätzlich nicht
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sondern er hätte vielmehr die organische Verbundenheit, das Aufeinander-Hin-
geordnetsein, die Gegenseitigkeit als Seinsgrund, und die gegenseitigen Ent-
sprechungen der unterschiedenen Teile betrachtet. Dann wäre er auch auf den
Weg der Berichtigung seiner Systematik gekommen.
Aus dem Begriff des Teilinhaltes folgt, daß ein grundsätzlicher
Schritt der ebenbildlichen Selbstdarstellung des Ganzen in seiner
Auseinanderlegung in grundlegende Sachgehalte besteht. „Knochen-
system“, „Muskelsystem“ als Sachinhalte des menschlichen Organis-
mus; Recht, Wirtschaft und so fort als solche der menschlichen
Gesellschaft sind die Ausgliederungsgehalte, durch welche die be-
treffende Ganzheit grundsätzlich bestimmt wird. Wir sehen darum
— und dies ist die verfahrenkundliche Folgerung aus dem Begriffe
des Teilganzen —, daß es die oberste Aufgabe der ganzheitlichen
Wissenschaften ist, zuerst die Grundinhalte des Gesamtganzen zu
finden, was zugleich erst das wesentlich verstehende Begreifen der
Gesamtganzheit in sich schließt. Die allgemeine Gesellschaftslehre
(Soziologie) hat die Teilinhalte der Gesellschaft zu bestimmen; die
Wirtschaftswissenschaft die Teilinhalte der Wirtschaft; die Rechts-
lehre des Rechtes; die Seelenlehre des Seelischen; die Sprachwissen-
schaft der Sprache, die Logik die T e i l i n h a l t e d e r D e n k -
g e b i l d e ; die Physiologie des Organismus.
Nennen wir die in jedem Teilinhalt ausgegliederte bestimmte
Wesensart den G a n z h e i t s g e h a l t desselben, so ergibt sich
der Satz: Die Weise der auslegenden Ebenbildlichkeit / ist die Aus-
gliederung des Ganzheitsgehaltes nach Teil-Sach-gehalten oder Teil-
inhalten.
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Siehe darüber unten § 18 über „Entsprechung“, S. 174 ff.