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schaftet uns mit jenem andern nationalen Kreise. Solche

Durchbrechung der Grenzen an noch so vielen einzelnen Punkten hat aber

wieder umso weniger zu sagen, je eigenartiger die einzelne nationale

Gemeinschaft für sich ist, je einheitlicher sie innerlich zusammenhängt.

Denn wie die Grenzen sich auch verwischen, die Arten können es nicht;

in ihrem Kern und Ausstrahlungspunkte bleiben die nationalen

Gemeinschaften doch verschieden. Von hier aus ist das Wesen des

W e l t b ü g e r t u m s verständlich. Es beruht wohl auf einer

Erweiterung der geistigen Gemeinschaft; ob diese aber als mixtum

compositum nationaler Denkinhalte Wert hat, ist eine andere Frage. Der

Weltbürger gleicht dem, der in allen philosophischen Systemen bewandert

ist. Nun bleibt ihm die Wahl: Eklektiker zu werden oder sich auf die

Grundlage einer bestimmten philosophischen Denkweise zu stellen; auch

das Ziel, eigenes aus fremden Elementen zu schaffen, ist freilich

vorhanden, geziemt aber nur dem großen und selbständigen Geiste. So

kann auch der Weltbürger Eklektiker werden, oder er vollzieht die

Vergemeinschaftsvor- gänge grundsätzlich doch nur auf der Grundlage

nationalen Geistes. Wenn schöpferische Geister auf dem so erweiterten

Felde fremde Kulturelemente der nationalen Gemeinschaft einverleiben—

z. B. haben L e s s i n g und seine Nachfolger das Drama

S h a k e s p e a r e s , nicht das französische dem deutschen Kunstgeiste

eingegliedert — geschieht dies immer in veränderter, geläuterter Form.

Gerade solche Weiterbildungen und Bereicherungen des nationalen

Geistes beweisen, daß die bloße kosmopolitische Erweiterung eines

Gemeinschaftskreises nur eklektisch und chaotisch möglich ist; daran wird

der kulturelle Charakter der nationalen Gemeinschaft offenbar.

Ist die Sprache nur das Beherrschende, nicht das ausschließliche

Mitteilungsinstrument und Mittel der nationalen Gemeinschaftsbildung,

so ist es verständlich, daß in Ausnahmefällen Sprachgleich- heit die

Abgrenzung des Körpers der Nation nicht zu bewirken braucht. In der Tat

bezeichnet in manchen Fällen die Sprache nicht auch die Grenze der

nationalen Gemeinschaft. So wie bereits angeführt, bei den Rhätoromanen

in der Schweiz, den Basken in Spanien, den Bretonen in Frankreich,

Gruppen, die sich überall trotz eigener Sprache in den anderen nationalen

Verband eingliedern. Wie ist dies möglich? Es ist nur möglich bei kleinen

Volkssplittern,