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die in große Nationalstaaten eingesprengt sind. Ihrem Leben gibt der
Staat jener größeren Nation durch gleichartiges Recht, Erziehung,
politische Schicksale usw. eine bestimmte nationale Richtung. Vor allem
aber: i h r e G e b i l d e t e n b e h e r r s c h e n a l l e d i e
S p r a c h e d e s W i r t s v o l k e s u n d g e h e n i n d e s s e n
G e m e i n s c h a f t
o h n e
e i g e n e n
g e n ü g e n d e n
G r u n d s t o c k v ö l k i s c h e r B i l d u n g s w e r t e e i n . Ohne
d i e s e
Sprachgleichheit
ist
höchstens
ein
Bundes-
und
Sympathieverhältnis aber keinerlei nationale Eingliederung denkbar.
(Daran offenbart sich abermals der höhere geistige, kulturelle Charakter
der nationalen Gemeinschaft.) In den Gebildeten ist eben der eigentliche
Sitz der nationalen Kulturgemeinschaft. Die ungebildete Menge umgibt sie
mehr als stummer Genosse, als Echo, aber auch als Kräftevorrat. Wäre
daher ein solches Volk zahlreich, so würde es eine genügende Menge
eigener Gebildeter erzeugen, die seiner spezifischen Anlage und
Vergangenheit gemäß eine eigene, neue nationale Gemeinschaft gründen.
Wie groß soll nun die Zahl sein, wo ist die Grenze? Dafür gibt es keinen
bestimmten Wert, denn es kommt sowohl auf die innere Überlegenheit
und tatsächliche (politische, wirtschaftliche usw.) Übermacht der
aufsaugenden Nation an wie auf die eigenen kulturellen Kräfte und
Anlagen der aufzusaugenden Gruppe. Einen lehrreichen Grenzfall bilden
die Tschechen. Ihre Gebildeten waren bis etwa 1866 gänzlich deutsch, das
tschechische Volksleben von deutschem Wesen sehr durchdrungen, die
Massen daher dem österreichischen Staatsgedanken ergeben, so daß ein
ähnliches Verhältnis wie zwischen Bretonen und Franzosen wohl denkbar
erschienen wäre. Daß es sich auf die Dauer nicht einstellte und die
Entnationalisierung keine Fortschritte mehr machte, lag wohl nicht allein
an der großen Zahl der Tschechen, sondern zugleich an ihrem Rückhalt an
der übrigen großen Slawenwelt und schließlich daran, daß die innere
Überlegenheit der deutschen Kultur in einer Zeit rein materiellen
Aufschwunges und der Verflachung unserer Bildung nicht zur Geltung
kommen konnte, während zugleich die politischen Machtmittel den
Händen der Deutschen in Österreich (nicht ohne eigene Schuld) entglitten.
Von demselben Gesichtspunkte aus ist die Erscheinung verschiedener
Nationalität bei gleicher Sprache zu beurteilen. Die Lockerung des
kulturellen Zusammenhanges ist bei gleicher Sprache sehr wohl