Table of Contents Table of Contents
Previous Page  435 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 435 / 9133 Next Page
Page Background

434

Vergemeinschaftungsprozesses erscheint aber selbst wieder als geistige

Schöpfung nationalen Lebens; die Sprache, in ihrer Eigenschaft als

logisches Gebäude (Grammatik), Form des Denkens und An- schauens,

ferner in ihrer Eigenschaft als Summe aufgespeicherter Begriffe und

Denkinhalte erscheint gleichfalls als Ergebnis nationalen Denkens und

Schauens — somit sind Staat und Sprache nicht nur äußere Bedingungen,

sondern selbst Bedingtes, zugleich selbst Schöpfungen nationalen Lebens.

Das subjektive Bewußtsein nationaler Zugehörigkeit hingegen ist

weder Bedingung noch Bestandteil der nationalen Gemeinschaft, sondern

nur ein R e f l e x davon, ein subjektives Feststellen des Ergebnisses eines

objektiven Prozesses. Als eingetretener Reflex gewinnt es natürlich

größten realen, bedingenden Einfluß.

Hiermit sind alle Begriffselemente der Nation grundsätzlich klargestellt.

Bedeutung und Wechselwirkung der äußeren Bedingungen im einzelnen

zu erforschen, wäre Aufgabe einer soziologischen T h e o r i e d e r

N a t i o n , was weit über den Rahmen der bloßen Begriffsuntersuchung

hinausginge.

VII. Der Wert der nationalen Gemeinschaft

Die Nation als Kulturgemeinschaft begriffen erscheint von selbst als

Kultur w e r t , als individuelle Lebensgestalt und Trägerin der Kultur.

Nationale Gesinnung, Betätigung der nationalen Gesinnung kommt daher

einer Pflege von Kulturwerten gleich. Und jeder Nationalstolz, jede

n a t i o n a l e B e w e g u n g i s t s o v i e l w e r t , a l s d i e

K u l t u r w e r t i s t , a u f d e r e n E r h a l t u n g u n d

S t ä r k u n g s i e s i c h r i c h t e t . Der Widerstreit der Nationen

erhält damit ein ähnliches Gesicht wie der bestimmter Richtungen in

Kunst, Wissenschaft, Religion. Der Gegensatz zwischen römischem und

griechischem, englischem und deutschem nationalenWesen ist schließlich

kein anderer, als der zwischen Empirismus und Idealismus. Und so liegt die

Wahrheit im geistigen Kampf der Nationen nirgends anders, als wo sie

auch im Kampf der Meinungen liegt, wo sie in Wissenschaft, Philosophie,

Kunst und Moral an sich liegt — das übersieht der Kosmopolitismus. Er ist

daher sentimental aber nicht wahr.