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eigene Nation und im Gegensatz zu den Deutschen fühlt. Das bedeutet
eben nur (da man über die Wahrheit nicht abstimmen kann), daß imVolke
das Staats b e w u ß t s e i n über das National b e - w u ß t s e i n gesiegt
hat; nicht aber, daß die objektiven Zusammenhänge wirklich so liegen,
nicht daß eine durchaus wesentliche Verbindung mit dem deutschen
Nationalgeist fehlte. Daß hingegen die deutsche Schweiz in ihrer geistigen
Struktur eine sehr selbständige Stellung einnimmt, muß freilich zugegeben
werden. Ähnlich steht es mit dem Elsaß. Würde diese Sonderstellung noch
einen vollen Schritt weitergetrieben, so kämen wir auf den Fall Hollands,
wo die grundsätzliche Selbständigkeit der nationalen Gemeinschaft bereits
vollendet ist, wenn auch die niederdeutsche Abart ihrer Eigenart nicht
verleugnet werden kann (man denke an R e m - b r a n d t !). Savoyen, die
ehemalig burgundischen Lande bilden die romanische Entsprechung zu
Holland und der Schweiz, und zwar mit noch abgestufteren Übergängen.
Auch sonst zeigen die Franzosen und Italiener eine ähnliche
Zusammensetzung aus Teilnationen. Provenzalen und Nordfranzosen,
Lombarden und Süditaliener weisen bedeutende innere Unterschiede in
ihrer geistigen Wesenheit auf. Desgleichen Tschechen und Mährer,
Kroaten und Slowenen.
Und auch innerhalb solcher Teilnationen, die sich übrigens
bemerkenswerterweise meist mit den Volksstämmen decken, sind wieder
nicht geringe Unterschiede vorhanden. So bei den Bajuwaren: Ober- und
Niederbayern, Tiroler, Steirer, Innerösterreicher (ob und unter der Enns)
— gleichfalls zumeist Stammesunterschiede, die durch Mischung mit
verschiedenen Ureinwohnern bedingt sind; bei den Franken: Ober- und
Niederfranken, sogar die alemannischen Schweizer zeigen bedeutend
unterschiedene Gruppen. Hierher gehört auch der Unterschied zwischen
Katholiken und Protestanten, zwischen Männern und Frauen, der nicht in
allen nationalen Kulturen gleich ausgeglichen ist (orientalische gegen
abendländische Nationen), und endlich die Sonderstellung, welche die
Juden in allen Nationen einnehmen, dies vornehmlich: (1) durch ihre
Religion, die im Westen heute allerdings nicht sehr von Bedeutung ist —
wo das aber zutrifft, wie im Osten (Galizien, russisches Polen), bilden die
Juden tatsächlich eine eigene Kulturgemeinschaft, eine eigene Nation,
wenn auch eine solche, die in Auflösung begriffen zu sein scheint; (2)
durch ihre wirtschaftliche Stellung, die sich nicht über