Zum Geleit
Es gibt ein Zauberwort, das den Menschen bindet. Sprich es aus,
und er ist auf ewig Dein. „Über-Dir“ heißt dieses Wort, höher hin-
auf heißt es: Gott. Im täglichen Leben hat es so viele Namen als
Mächte sind, die den Menschen zu sich hinaufheben: Kirche, Staat,
Sittlichkeit, Volkstum; und in der Sprache des menschlichen Her-
zens heißt es Liebe. Darum ist es auch in der Liebe nicht eigentlich
der geliebte Mensch, den wir meinen, sondern jenes, was wir in ihm
lieben. Liebe führt nur über ein Höheres zum Menschen. Über
b e i d e n Liebenden muß ein Höheres stehen, in dem sie ge-
meinsam gründen, ein Ober-Ihnen, als dessen dienende Glieder sie
sich finden. Das Gesellschaftlich-Uberindividuelle ist die Bedingung
des Persönlich-Individuellen. Wo das Gesellschaftlich-Uberindivi-
duelle gefunden und anerkannt wird, drängt es auch zur Findung
und Anerkennung des Metaphysisch-Uberindividuellen. Wo das
Metaphysisch-Uberindividuelle gefunden und anerkannt wird,
drängt es auch zur Findung und Anerkennung des Gesellschaftlich-
Uberindividuellen. Nur beide zusammen ermöglichen wahre Kul-
tur; wo beide fehlen, gibt es keine Kultur.
Ermißt man nun, was es heißt, „Uber-Dir“? Alles hängt an die-
sem „Über-Dir“. Es heißt, daß ein Höheres, ein Über-Individuelles
den Menschen aufnimmt und ihm Licht und Leben spendet. Es bil-
det ihn, gestaltet ihn, und indem es ihn gestaltet, bindet es ihn
auch. Denn Gestalt ist Bindung. Und darum bindet jenes Wort, wie
nur der stärkste Zauber / binden kann. Die P h i l o s o p h i e ,
d i e d i e s e s Z a u b e r w o r t s p r i c h t , d i e d a s „ Ü b e r -
D i r “ z e i g t , i s t d e r I d e a l i s m u s ; d i e G e s e l l -
s c h a f t s l e h r e , d i e e s s p r i c h t , d e r U n i v e r s a l i s -
m u s .
Es gibt auch ein dunkles Zauberwort, das den Menschen loslöst
und entbindet. Sprich es aus und Du hast ihn verloren.
„Kein Uber-Dir“, „Du bist aus Dir allein Du selbst“ heißt dieses
Wort, tiefer hinab heißt es: Eigensucht, zuletzt Gottlosigkeit,