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Es gibt kein totes Sein. Man denke, daran erinnern wir nochmals,

um diesen Gedanken ganz in sich aufzunehmen, zuerst an das Sein

in Geist und Leben. In Geist und Leben liegt das Schöpferische des

Seins klar am Tage. Wer dies Schöpferische einmal begriffen hat,

wird es dann im Anorganischen, gleichsam als in einem Grenzfalle

des Seins, leicht wiederfinden. Es ist nicht, so sagten wir schon oben

1

,

ein Stoff, der schlecht- / hin da ist und nicht mehr verschwinden

kann, woraus die Körperwelt bestünde, sondern es sind die unauf-

hörlichen Neusetzungen, durch die das Stoffliche allein besteht. Was

will dagegen die annähernde Beständigkeit der Größenverhältnisse,

wie die mathematische Physik sie nachweist, sagen? Sie kann nur die

verhältnismäßig große Beständigkeit der Neusetzung beweisen,

nicht das Tote.

Es ist ein uraltes Weisheitsgut der Menschheit, daß die Welt an

Gott, der sie unaufhörlich neu schafft, hängt, daß sie nur durch das

unaufhörliche Mitwirken Gottes an der Weltarbeit besteht. Diese

Erkenntnis wäre auch damit nicht widerlegt, daß die stoffliche

Welt nach mathematisch-physikalischem Verfahren erkannt werden

kann, denn diese Möglichkeit beweist nichts anderes als sehr große

Beständigkeit der schöpferischen Wirkung. Würde Gott nur einen

Augenblick ermüden — die Welt müßte in das Nichts zurücksinken.

Diese Wahrheit darf aber nicht behandelt werden gleich einer

tröstlichen religiösen Einsicht, die sich der Mensch in einsamen

Stunden eingesteht; sie darf auch nicht nur in irgendeinem Ab-

schnitte der Metaphysik Vorkommen. Sie muß den Seinsbegriff ganz

und gar durchdringen und alles, was aus ihm folgt. Geschieht dies,

dann erscheint das Sein als Geschaffenwerden und Schaffen in ewig

frischem Grünen und Blühen.

II. Das Wesen des Schaffens

A.

A l l g e m e i n e W e s e n s e r k l ä r u n g

Ist das Wesen des Seins durch „Schaffen“ aus „Geschaffenwerden“

bestimmt, dann kann der Seinsbegriff nicht ohne tieferes Eindrin-

gen in das Wesen des Schaffens begründet werden.

1

Siehe oben S. 48 f.