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nackte Veränderung und Vielheit — welche wir allerdings mit den
Eleaten als undenkbar bezeichnen müßten — sondern verankert in
der Einheit!
Das Schaffen ist jener Begriff, der uns Einheit und Vielheit, Bei-
sich-selbst-Sein und Veränderung, Sein und Werden in wider-
spruchsloser Verbindung zeigt. Er allein löst den eleatisch-herakli-
tischen Widerspruch auf
1
.
Mit der vorstehenden ausführlichen Abhandlung des entscheiden-
den Merkmales des Seinsbegriffes: „Schaffen aus Geschaffen werden“,
haben wir die Voraussetzungen für den weiteren Gang unserer
Untersuchung gegeben. Diese besteht darin, jene weiteren Fragen
der Schöpfungslehre, die für die Seinslehre von Wichtigkeit sind, zu
prüfen. Es sind dies vor allem die Fragen der Schöpfung aus dem
Nichts, und der Emanation.
B.
S c h ö p f u n g a u s d e m N i c h t s
o d e r a u s E t w a s ?
Es ist viel darüber gestritten worden, ob das Schaffen ein Schaf-
fen aus dem Nichts sei, oder ob es nur ein Umformen, ein Abteilen
dessen sei, was jeweils schon da ist. Nach dem viel berufenen Satze:
Aus nichts wird nichts (ex nihilo nihil fit), könnte es ein Schaffen
aus dem Nichts nicht geben. Wenn nur aus etwas etwas werden
kann, dann gibt es auch nur Veränderung, Umformung, Neu-Ab-
teilen und Neu-Einteilen dessen, was schon da ist.
Die nähere Überlegung zeigt, daß der Begriff des Schaffens / als
eines bloßen Umformens auf den eleatischen Seinsbegriff des sich
selbst gleich bleibenden Seins zurückgeht, das nicht entstehen und
nicht vergehen kann; und sie zeigt ferner, daß in der atomistisch-
mechanischen Denkweise die Frage, wie das Umformen vor sich
gehe, im eleatischen Sinne gelöst ist, da ihr zufolge das eine Sein
gleichsam in unendlich viele, unveränderliche Atome zersprengt er-
scheint (daher auch im Grunde nichts entsteht und vergeht, vielmehr
die Elemente des Seins nur in verschiedenen Zusammensetzungen
oder Lageveränderungen, erscheinen).
1
Vgl. Weiteres über die Lösung des eleatischen und heraklitischen Gegen-
satzes unten S. 76 ff.