62
[61/62/63]
Wir erfassen den Sinn dieser Begriffsbestimmung vollständig,
wenn wir uns klarmachen, daß die Fassung „Schaffen aus Geschaf-
fenwerden“ nicht umgewandelt werden darf in die Fassung: Schaf-
fen aus G e s c h a f f e n w o r d e n s e i n . Der Unterschied, der
hierin liegt, ist entscheidend. Aus dem Wesen des Schaffens folgt,
daß das Geschöpf nicht zuerst geschaffen wird, / dann schlechthin
da wäre, sein Sein also wie einen sicheren Schatz, wie eine fertige
Mitgift mit bekäme; und daß es daraufhin, also erst hinterdrein,
erst nachträglich, schaffen würde, nach dem Vorbilde, das es vor-
findet. So verhält es sich nicht. Der Schöpfer schafft das Geschöpf
nicht h e u t e , damit dieses m o r g e n selber schaffen könne.
Vielmehr: das G e s c h a f f e n w e r d e n d e s G e s c h ö p f e s
t r i t t n u r d a n n u n d i n s o w e i t i n K r a f t , a l s e s a u f
d i e s e m G r u n d e s e l b e r s c h a f f t . Gott ist ein Gott der
Lebendigen, nicht ein Gott der Toten. Er schafft nur, was sich selber
miterschafft. Nach unserem früheren Beispiele wird dem Kinde das
Vorgesagte nur dann Wirklichkeit, wenn es solches nachsagend oder
wenigstens nachdenkend ergreift — das heißt aber, wenn es sich
nachschaffend verhält (denn „ergreifen“ heißt notwendig irgendwie
„schaffen“); dagegen wird ihm das Vorgesagte keine Wirklichkeit,
wenn es nicht zuhört, nicht aufmerkt, nicht in Gedanken oder
Worten mit- und nachschafft. Das Vorsagen wäre in diesem Fall für
das Kind kein Sein — und darum auch kein Geschaffenwerden.
Gleichwie nach diesem Beispiele, so überall.
Das Geschaffenwerden verleiht also an sich noch keine durchge-
führte Wirklichkeit. Dann allein wird ein Schöpfungsakt für das
Geschöpf vorschaffend, eingebend, wenn es ihn nachschaffend er-
greift. Das Schaffen bleibt dem Geschaffenwerdenden nicht erspart.
Selbstwirksamkeit des Geschöpfes ist nötig, damit es aus dem Ge-
schaffenwerden in das Dasein übergehe. Schaffen ist nötig, damit das
Geschaffenwerden zum Dasein führe. Geschaffenwerden ist nur die
erste Hälfte des In-das-Dasein-Tretens. Nur wenn die Aufgabe er-
griffen und erfüllt wird, ist sie eine Aufgabe, ein Quellbrunnen
des Seins, der zur Entwicklung eines Daseins (Werdens) führt. Wenn
sie nicht beachtet, nicht angenommen, nicht erfüllt wurde, bleibt sie
wesenlos, ohne Wirklichkeit. Dies ist der geistige Sinn des Wortes:
Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
/
Nur wer die Gabe annimmt, die ihm geboten wird, der hat sie,