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leitung in die Gesellschaftslehre, Erster Band: Wirtschaft und
Gesellschaft. Eine dogmenkritische Untersuchung“, Dresden 1907. Wie
schon der Titel an die Dissertation anklingt, so ist auch das ganze Werk
eine erweiterte und vervollständigte Bearbeitung derselben.
Dieses Werk ist rein kritischer Natur. Es befaßt sich mit dem bisherigen
Gesellschaftsbegriff namhafter Verfasser in der Nationalökonomie, in den
Staatswissenschaften und der Völkerpsychologie sowie in der Soziologie,
wobei Spann den schon in der Dissertation gehandhabten Unterschied
zwischen materialem und formalem Gesellschaftsbegriff scharf im Auge
behält. Wir finden in dieser weitläufigen Auseinandersetzung die
Volkswirte Wilhelm Roscher, Karl Knies, Friedrich B. W. von Hermann,
Bruno Hildebrand, Gustav Schmoller, Johannes Conrad, Eugen von
Philippovich, Eugen Schwiedland, Carl Menger; Friedrich Gottl und Carl
Dietzel, die Staatswissenschaftler Lorenz von Stein und Robert Mohl, die
Völkerpsychologen Moritz Lazarus, Heymann Steinthal und Wilhelm
Wundt, die Philosophen Wilhelm Dilthey und Paul Natorp, die
Soziologen Albert Schäffle, Herbert Spencer, Paul von Lilienfeld, Rene
Worms, Leopold von Wiese, Rudolf Stammler, Georg Simmel und
Kistiakowski.
Spann selbst hat diese Schrift als sehr schwierig bezeichnet und wir
können seinem eigenen Urteil nur beipflichten. Aber wir können heute
den Leitspruch darüber setzen: „Ex ungue leonem“. Im Vorwort zum
„Kurzgefaßten System der Gesellschaftslehre“, Berlin 1914, schreibt
Spann, daß dieses Buch als zweiter Band seiner dogmengeschichtlichen
Arbeit „Wirtschaft und Gesellschaft“ anzusehen ist (Seite 3).
Wir finden in „Wirtschaft und Gesellschaft“ schon öfter die Namen der
beiden Philosophen Hegel und Schleiermacher, insbesondere gelegentlich
der Behandlung des Hegelianers Lorenz von Stein, aber das
Bildungselement der Romantik fehlt noch in diesem Werke Spanns. Bei
Besprechung der älteren Völkerpsychologie von Lazarus und Steinthal
zitiert Spann deren Begriffsbestimmung der Völkerpsychologie als
„Wissenschaft vom Volksgeiste“, aber es wird nicht erwähnt, daß dieser
Begriff von der Romantik geprägt wurde. Bekanntlich hat Savigny das
Recht als Produkt des Volksgeistes definiert.