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Im Jahre 1912 brachte die „Zeitschrift für Socialwissenschaft“ in Leipzig
aus der Feder Othmar Spanns einen Aufsatz über „Neuere
Sozialphilosophische Literatur“, worin er Karl Vorländers Schrift „Kant
und Marx“, Tübingen 1911, die Neuausgaben der Werke von Fichte,
Schelling und Hegel, Johann Plenges Buch „Marx und Hegel“, Tübingen
1911 und andere kleinere Schriften anzeigt. Die von den Sozialisten und
Neukantianern bejahte Frage der Synthese von Kant und Marx lehnt er ab
und zeigt, wie der individualistische Grundzug der kantischen
Staatsauffassung in Fichtes „Grundlagen des Naturrechtes“ (1796)
überwunden wird. „Sollen überhaupt Menschen sein, so müssen mehrere
sein ... Der Begriff des Menschen ist sonach gar nicht der eines einzelnen,
denn ein solcher ist undenkbar, sondern der einer Gattung.“ Hiemit ist die
deutsche Philosophie vom Individualismus zum Universalismus
übergegangen und hat daran bis Hegel festgehalten. Eine Einführung in
das
Grundproblem
der
Sozialphilosophie,
nämlich
des
Fundamentalunterschiedes zwischen Individualismus und Universalismus,
hat Spann ein Jahr zuvor in der ersten Auflage der „Haupttheorien der
Volkswirtschaftslehre“, Leipzig 1911, gegeben (Seite 21 ff.). In Adam
Müllers wirtschaftlichen Lehren, insbesondere in seinemKampf gegen den
Liberalismus von Adam Smith, erblickt Spann eine lebendige Frucht der
Schellingschen Sozialphilosophie. Seinen Schülern vermittelte Spann eine
gründliche Kenntnis der Philosophie Fichtes, Schellings und Hegels, die
insbesondere in seinem Privatseminar dauernd erörtert wurde.
Ein volkswirtschaftliches Einzelproblem behandelt die in der Wiener
„Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung“, 1913, und
im gleichen Jahr auch als Buch erschienene „Theorie der
Preisverschiebung, Ein Beitrag zur Erklärung der Teuerungen“, die Spann
selbst sehr schätzte. Hier schildert er den zyklischen Verlauf der
Teuerungen, die aber gleichzeitig immer mit Preisverbilligungen anderer
Waren verbunden sind.
Im Jahre 1913 erschien auch noch die Broschüre „Zur Soziologie und
Philosophie des Krieges“ nach einem am 30. November 1912 zu Brünn
gehaltenen Vortrag, dessen Anlaß die österreichische Teilmobilisierung
während des Balkankrieges war. Man hatte damals schon in weiten
Kreisen die düstere Vorahnung des kommenden Ersten Weltkrieges.