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Maßgebend sind für uns die beiden allgemeinen Sätze der Ganz-
heitslehre: (1) „Das Ganze als solches hat kein Dasein.“ Danach
kann der Schöpfer nie als s o l c h e r erscheinen, er kann insbe-
sondere auch nicht als eine bestimmte, die ganze übrige Welt aus-
gliedernde „Urmitte“ erscheinen. Die Urmitte ist wohl, aber sie
erscheint nicht, denn indem das Ganze sich ausgliedert, muß es sich
bereits nach dem Satze der Gezweiung in mehreren Mitten (Glie-
dern) ausgliedern. So muß es zwar eine höchste Ausgliederungsmitte
der Welt geben, aber Gott selbst erscheint nur virtuell als Urmitte,
niemals aktuell. In diesem Punkte ist damit jeder wie immer gear-
tete Pantheismus ausgeschlossen. — (2) „Das Ganze geht in den
Gliedern nicht unter.“ Nach diesem Satze kann Gott sich niemals
in die Welt ausgießen, nie- / mals als Schöpfer erschöpfen. Und es
ist auch in diesem Punkte wieder jeder Pantheismus ausgeschlos-
sen
1
.
Wie der Pantheismus, so ist auch der D e i s m u s durch die ganz-
heitliche Auffassung des Verhältnisses Gottes zur Welt ausgeschlos-
sen. Niemals kann das Geschöpf, wie der Deismus will, dem Schöp-
fer fremd werden und gleichsam davongehen. Davor schützt die
Kategorie der Befaßtheit der Glieder in ihrem Ganzen und noch
allgemeiner gesehen: die Rückverbundenheit alles Ausgegliederten
in seinem Ausgliedernden. Wenn Gott seine Welt verließe, müßte
sie in den Abgrund des Nichts hinuntersinken.
Damit haben wir nichts Neues gesagt, vielleicht aber eine uralte
Wahrheit von neuem beleuchtet. „Die Welt hat Gott nicht geschaf-
fen“, sagt Meister Eckehart, „wenn das Geschaffen- S e i n aus-
schlösse das Schaffen; darum, Gott hat also die Welt geschaffen,
daß er sie ohne Unterlaß noch immer erschafft. Jede Art Vergangen-
heit und Künftigkeit ist Gott fremd und fern.“
2
Ein anderer wesentlicher Punkt des Schaffens nach außen hin (der
mit der Grundfrage Pantheismus — Deismus nur mittelbar ver-
knüpft ist), bleibt der, daß in der Welt ein Z e i t verlauf gesetzt,
in Gott aber das Gegenteil gefordert ist. Wesentlich ist für uns,
zu begreifen, daß die S c h ö p f u n g e i n e G e s c h i c h t e
1
Vgl. dazu mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 60 ff. und 82 ff.
2
Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 437,
Zeile 30; vgl. Otto Karrer: Meister Eckhart, Das System seiner religiösen Lehre
und Lebensweisheit, München 1926, S. 70 ff.