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sich selbst. Das Allgemeine, das Über-Dir der Geschichte wirkt in

ihm und zuletzt Gott. Ein Führer, der das Seine sucht, verdirbt

sich und die Geführten. Der große Geist ist niemals eitel, der große

Held niemals ruhmsüchtig, der große Wirtschaftsführer niemals

gewinnsüchtig.

Dem „Werde allgemein“ des Führers steht die Pflicht der Geführ-

ten gegenüber, den Führer anzunehmen, sein Wirken in sich auf-

zunehmen. Der F ü h r e r m u ß v e r d i e n t w e r d e n . Die-

sen Befehl spricht die Geschichte aus. Ihn auszuführen ist aber für

die stockige Menge so leicht nicht. Ja, gerade das vermag sie nie

ganz zu leisten. Daher die dornenvolle Stellung des echten Schöpfer-

geistes in der Geschichte. Denn um das Große aufzunehmen, muß

schon ein Funke davon in der Brust des Aufnehmenden wohnen.

Und die Menge ist in ihrem Wesen gerade dadurch bezeichnet, daß

ihr dieser göttliche Funke fehlt. Wegen solchen Mangels an Auf-

nahmefähigkeit verkehrt sich die Aufnahmebereitschaft in ihr

Gegenteil, in Haß gegen das Große und ihren Schöpfer — ein Ur-

instinkt der Menge. Schon im kleinen Gange des Lebens zeigt er

sich. Treffend schildert ihn da Goethe:

In dieser Welt ist’s keinewege richtig.

Vergebens bist du brav, vergebens tüchtig,

Man will dich zahm,

Man will sogar dich nichtig.

Dieser Widerstand des großen Haufens stellt dem schöpferischen

Führer eine neue Aufgabe: Er s e l b s t m u ß d i e M e n g e

a u f n a h m e f ä h i g m a c h e n . Daß dies nur durch Vermittler

geschehen kann, wurde schon erwogen. Der bitterste Kampf dabei

aber geht gegen die Genie-Affen, das Unholdentum. Sie heften sich

wie Schatten an die Ferse des echten Führers.

Soll der schöpferische Mensch in all diesen Wirren und Kämpfen

seine Aufgabe lösen, so muß er zuerst eine klare Erkenntnis des

Vollkommenen besitzen. Erleuchtung läßt in ihm das Vollkommene

und das, was sein soll, entstehen. Erleuchtung ist Gnade. Die Jung-

frau von Orleans, wie sie Schiller schildert, läßt uns die Wahrheit in

ihrer einfachsten und zugleich höchsten Gestalt erkennen. Der Auf-

trag von oben, die Berufung steht am Beginn. So steht auch Novalis

mit dem Erlebnis am Grabe Sophiens am Beginn der Romantik.

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