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Tat ist und daher: durch immer neue Schöpfung entsteht. Geist
i s t nicht (wie stoffliche Atome als schlechthin daseiend vorgestellt
werden); sondern entspringt unaufhörlich neu — durch Schöpfung,
die aber auf Eingebung und auf Ergreifen der Eingebung beruht.
Gleichwie der Gedanke, den wir denken, nur ist, weil wir ihn nicht
vergessen, ihn also unaufhörlich neu denken, so auch der gesamte
ungeheuere Gang der Kulturwelt nur, weil er in zahllosen Gezwei-
ungskreisen täglich neu geschaffen wird.
Wer sich Kultur und Geschichte nicht in der gewaltigen Span-
nung eines Blitzgewebes, die nie unterbrochen werden darf, soll sie
nicht ins Nichts vergehen, vorzustellen vermag, weiß nichts von
ihren Tiefen.
Durch Eingebung wirkt ein Höheres durch den objektiven Geist
in den Gang der Kultur hinein. Ohne Vorsehung weder Gesellschaft
noch Geschichte.
Wie wenige, ganz wenige Menschen es aber sind, die aus der hei-
ligen Tiefe des Geheimnisses schöpfen, das kann nicht ehrfürchtig
genug erkannt werden. Religion könnte ohne die wenigen großen
Religionsstifter, die in der Vorsehung der Welt geschenkt wurden,
nicht gedacht werden. Einige wenige große schöpferische, System
gestaltende Gedanken bestreiten die lange Geschichte der Philo-
sophie; einige große Verfahrengedanken die Geschichte der Wissen-
schaft. Wie wenige schöpferische Menschen finden wir in Sittlich-
keit, Recht, Gesetzgebung, fast niemanden neben den großen Pro-
pheten und Religionsstiftern. Am reichsten noch sprudelt die
Schöpferkraft in der Kunst, wo die verschiedenen Stile und Gattun-
gen als mächtige Denkmäler des Zeitgeistes zu uns reden. Auf wie
wenige Grundformen gehen aber zuletzt auch die Stile zurück.
Den wenigen echten schöpferischen Geistern steht aber nicht nur
die schwache, unvermögende Menge gegenüber. Noch eine andere,
tiefer stehende Schichte ist da, die nicht übergangen werden darf.
Eine Schichte von U n h o l d e n , dunklen, d ä m o n i s c h e n
U n t e r m e n s c h e n wirkt jederzeit in der Gesellschaft und Ge-
schichte, und sie ist nicht durch das schöpferische Unvermögen ge-
kennzeichnet, aber immer dadurch, daß sie eine Richtung auf das
Unvollkommene annimmt. Es ist die erkleckliche Menge von Ent-
arteten, Zügellosen, Ränkemachern, Falstaffen, Verführern, vor al-
lem sodann von Neidingen, Verrätern, Zersetzern, endlich Krank-