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Historismus, bei denen jedoch bereits das Streben, ihn zu überwinden, durch-

bricht, nennen wir noch Wilhelm Dilthey und Ernst Troeltsch.

W i l h e l m D i l t h e y , obzwar von Anfang an durch Schleiermacher mit

beeinflußt, wird in seiner „Einleitung in die Geisteswissenschaft“

1

von Mill,

Comte, Spencer wesentlich bestimmt. Erst in höherem Alter versuchte er das

naturwissenschaftliche Verfahren in Geschichte und Geisteswissenschaft zurück-

zudrängen und zwar durch die Forderung nach einer typologischen und „ver-

stehenden“ Psychologie (welche der Assoziationspsychologie entgegenzusetzen

wäre). Doch konnte der unklare und nicht zu Ende gedachte Begriff des „Ver-

stehens“ zu keinem Ergebnis führen. Denn nicht um das „Verstehen“ handelt es

sich unseres Erachtens zuerst, sondern um seine objek- / tiven Voraussetzungen,

nämlich darum, daß das Verstehbare ein anderer Gegenstand ist als das Mensch-

lich-Ursächliche. Erst wenn man das Wesen dieses Gegenstandes bestimmt — z. B.

als „Ganzheit“ oder als „Zweck“ — hat man die Grundlegung eines neuen

V e r f a h r e n s in der Hand. Wenn ferner das „Verstehen“ zu einer „Lebens-

philosophie“ führen sollte, Leben durch Leben wiedergeben sollte, so muß man

fragen — wo bliebe da das Denken? Zu einer über positivistischen Historismus

hinausgehenden Geschichtsauffassung gelangte Diltheys mächtiges Streben leider

nicht.

Eine ähnliche Stellung nimmt E r n s t T r o e l t s c h ein, der aber in seinem

letzten Buche „Der Historismus und seine Probleme“

2

eine größere Annäherung

an den Idealismus vollzog, als Dilthey sie erreichte

3

. — Troeltsch behandelt

außer den Fragen der Geschichtslogik auch den Gang der Geschichte. Nach ihm

sind es vier Grundgewalten, welche die Gegenwart bestimmen: Der hebräische

Prophetismus und das Christentum, das klassische Griechentum, der antike Im-

perialismus und endlich das abendländische Mittelalter, das aber selbst wieder

erst „von der Kirche, von Byzanz, von den Arabern zur Kultur erzogen“ wurde.

Unter den neuesten deutschen Geschichtsschreibern wäre als Ver-

treter des naturwissenschaftlichen Standpunktes noch K a r l

L a m p r e c h t zu nennen, der sich gegen Ranke und seine ge-

schichtliche Ideenlehre wendete

4

. Die größte Wirkung übte aber,

wenn auch nicht gerade auf die Fachwelt, O s w a l d S p e n g l e r

aus.

Oswald Spengler hat in seinem „Untergang des Abendlandes“

5

den alten

Gedanken der gesetzmäßigen Aufeinanderfolge der Lebensalter der Völker und

Kulturen nach biologischer Art mit ungleich größerer Entschiedenheit als alle

seine vielen Vorgänger verfolgt. Als das Wesentliche läßt sich bezeichnen:

(1) Kulturen sind Organismen wie die Pflanzen und Tiere, die in sich selbst

wachsen und sterben; (2) die Kulturen sind einander fremd, ihre Beeinflussungen

1

Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883.

2

Ernst Troeltsch: Der Historismus und seine Probleme, Tübingen 1922.

3

Trotzdem reicht Troeltsch nicht an Dilthey heran.

4

Vgl. über ihn Georg von Below: Die deutsche Geschichtsschreibung von den

Befreiungskriegen bis zur Gegenwart (1916), 2. Aufl., München 1924, S. 95 ff.

5

Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, Bd 1, 1. Aufl., Wien

1918, Bd 2, 1. Aufl., München 1922, seither viele Auflagen.