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Sinne Meister Eckeharts gebraucht) ist es, in welchem diese Unmit-

telbarkeit hervortritt.

Ohne uns auf eine weitere Darstellung der Mystik einzulassen,

fragen wir vom Standpunkte der Geschichtsphilosophie nur: Was

folgt aus jener Unmittelbarkeit für die Stellung des Menschen in

der Welt, in der Gesellschaft und Geschichte? Gewöhnlich sagt man,

die Mystik verneine die Weltstellung und die gesellschaftliche Stel-

lung des Menschen, weil sie die Welt verneint, indem sie jene Un-

mittelbarkeit und die in ihr liegende Vergottung des Menschen im

Auge hat. Das ist ein Irrtum. Um sich darüber klar zu werden,

welche Weltstellung und Gesellschaftsstellung die Mystik dem Men-

schen in Wahrheit zuschreibe, muß man vor allem den Begriff der

Askese richtig fassen.

A s k e s e im tieferen Sinne ist keineswegs eine Verneinung der

Welt und eine leere Weltfeindlichkeit. Sie bedeutet vielmehr, daß

der Mensch in seinen höchsten geistigen Inhalten die Welt überhöht:

keine Abkehr, sondern innere Überwindung. Meister Eckehart lehrt:

Gottes voll sein, heißt der Welt leer sein

1

. Was will das aber be-

sagen? Meister Eckehart spricht hier nicht nur von einem mysti-

schen Zustand, sondern er spricht ein a l l g e m e i n g ü l t i g e s

G e s e t z u n s e r e s G e i s t e s l e b e n s überhaupt aus. Alles

was man Sammlung, Versenkung, innere Vertiefung (Konzentra-

tion) nennt, und was schließlich zur E i n g e b u n g (Intuition)

führt, beruht darauf: daß alle störenden Inhalte aus unserem Geiste

verbannt werden und diejenigen, auf die es jeweils ankommt, allein

von ihm Besitz nehmen. Der Erfinder, der erfinden, der Dichter,

der Gestalten schaffen, der Denker, / der Erkenntnisse erlangen

will, sie alle müssen von i h r e n Zielen, Bestrebungen, Gestalten,

Gedanken durchaus erfüllt sein. Alles Störende muß abgehalten,

ausgetrieben werden, soll überhaupt die Möglichkeit bestehen, daß

die Eingebung erlangt wird, daß das Werk gelingt. Wenn der Erfin-

der nur von seiner Erfinderaufgabe, der Dichter nur von den Ge-

stalten seines Schauspiels ausgefüllt wird, und mit ihnen im Wachen

und im Träumen lebt und webt; dann heißt das aber nicht, daß sie

1

Meister Eckehart, mittelhochdeutsch herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leip-

zig 1857 (seither anastatische Neudrucke), S. 487, Zeile 10 f. und öfters (= Deutsche

Mystiker des 14. Jahrhunderts, Bd 2).