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alles, was Nichterfindung und Nichtschauspiel sei, verachten und ab-
lehnen. Es heißt nur, daß ihr Geist um einen andern Inhalt ver-
sammelt ist, daß sie mit anderem umgehen und in diesem Umgang
gleichsam ihre Verzückung, ihre Ekstase finden. So auch und am
meisten derjenige, der dem Höchsten, dessen der menschliche Geist
fähig ist, sich zuwendet. Der Fromme, welcher Gottes voll sein will,
muß der Welt leer sein.
Nun noch ein weiterer entscheidender Punkt. Es liegt nicht im
Sinne echter Mystik, den Menschen, der jenen Abgeschiedenheits-
zustand erlangt, grundsätzlich als einen Einzelnen, grundsätzlich als
einen von den anderen Menschen Abgelösten aufzufassen. Der
Mensch ist auch für die Mystik nur als Glied der geordneten Welt,
als Glied der Gemeinschaft möglich, ist nur in Gezweiung denkbar
und faßbar. Zwar haben sich die Mystiker, weil sie eben nicht den
Gemeinschaftsmenschen, sondern einen anderen Gegenstand haben,
darüber selten ausdrücklich ausgesprochen. Es ist aber gerade für sie
selbstverständliche Voraussetzung: daß Gott nicht viele vereinzelte
Menschen geschaffen habe, zu denen er je für sich in ein unmittel-
bares Verhältnis träte; sondern eine Welt und eine Menschheit, in
der jeder Mensch als Glied enthalten ist. Das beweist besonders auch
der Gedanke des „stellvertretenden Leidens“, der nur dann einen
Sinn hat, wenn alle Menschen als teilnehmende Glieder eines geisti-
gen Kosmos aufgefaßt werden, wenn alle Menschen Glieder des-
selben mystischen Körpers sind. Christus ruft seinen Jüngern zu: /
„In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt
überwunden“
1
. Nicht ihm, Christus allein also, sondern allen gilt
diese Tat der Überwindung, allen kommt sie kraft der Einheit und
Ganzheit der menschlichen Gemeinschaft zugute. — Auch dem
buddhistischen Heiligen gegenüber ist es ein europäischer Irrtum,
ihn in individualistischer Absonderung zu vermeinen. Nach indi-
schem Glauben wird er vielmehr zu einer kosmischen Kraft, welche
nur für die Allgemeinheit wirkt. — Ein anderer Irrtum ist es, das
auf das Mystische gerichtete Leben als untätig, als rein erleidend
aufzufassen. Das Gegenteil ist richtig. Es erfordert die höchste innere
Anspannung. Darum auch die Bhagavadgita sagt: „Gib dich nicht
dem Müßiggange hin. Wer nichts beginnt, kann nicht in den Zu-
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Johannes, Kapitel 16, Vers 33.