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irgendwie ein „ G e g e n z u g “ folgen. Dem fehlerhaften Zug beim
Schachspiel setzt man einen Gegenzug entgegen, der an sich selbst
ebenfalls ein Fehler wäre, wenn er nicht einem vorherigen ent-
gegenzutreten hätte. Ebenso wird in der Schlacht, ebenso im
Rechtsstreit, ebenso im Staatsleben ein Fehler dem andern ent-
gegengesetzt.
Die vierte Spalte zeigt das Böse, das die Wiedervervollkommnung
vereiteln will. Spalte „4“ hat keine Urkraft, sie schöpft ihre Kraft
schmarotzend aus Spalte „2“. Schrumpft die Spalte „2“ auf das
Menschenmögliche zusammen, dann kann „4“ sich nicht halten.
„4“ hat mit „1“ keinen Zusammenhang, in „1“ ist die Urkraft des
Guten, von der sich Spalte „3“ nährt. Darüber sogleich mehr.
B. D i a l e k t i k u n d U n v o l l k o m m e n h e i t
Die Gegensätzlichkeit oder Dialektik, die sich zwischen den vier
Spalten unserer Tafel ergibt, ist der Dialektik Fichtes, Schellings
und Hegels wohl verwandt, aber damit nicht einerlei. Bei ihnen,
und am meisten bei Hegel, ist nämlich der G e g e n s a t z d a s
H e r v o r t r e i b e n d e , das Lebenerzeugende, also in diesem
Sinne das Gesunde und darum auch das schlechthin Notwendige,
Unentbehrliche. Bei uns dagegen g e h ö r t d i e D i a l e k t i k
v o n A n b e g i n n d e r W e i s e d e r U n v o l l k o m m e n -
h e i t a n . Die Gegensätzlichkeit „vollkommen — unvollkommen“,
„positiv — negativ“ (hegelisch zu sprechen) ist überall ein Anzeichen
von Fehl-Umgliederung, von Brüchigkeit, Verderbtheit. Denn die
Krankheit ist nun einmal etwas Unvollkommenes. — Ferner soll
bei Fichte, Schelling und Hegel der zweite Gegensatz den ersten
„aufheben“, er soll eine „ S y n t h e s i s “ sein. Die Heilsordnung ist
aber in Wahrheit nicht als „Synthesis“ zu fassen. „Aufheben“ heißt
im Gange der Umgliederung vielmehr „rückgängig machen“, heißt
wiederherstellen, nicht aber zu Höherem emporsteigen. Im tatsäch- /
lichen Gange der Dinge ist es allerdings nicht ausgeschlossen, daß
die Wiederherstellung, die Heilung zugleich über den (wiederherzu-
stellenden) Anfangszustand hinausführt. Der geläuterte Mensch
kann höher stehen als der im Stande der Unschuld verbliebene. Aber
das geschieht deswegen, weil dieser Stand der Unschuld das Unent-