130
[144/145/146]
Dagegen behauptet Nietzsche die „Wiederkehr des Gleichen“ im strengen
Sinne, also im Sinne eines mathematischen Kreislaufes— / ein Unbegriff, der
fast krankhaft anmutet. Daß die Lehre vom Kreislauf überhaupt nur Sinn hatte
auf dem Grunde einer wiederholten Weltschöpfung, und daß sie auch dann
keine genaue „Wiederkehr des Gleichen“ bedeuten kann, darüber war sich
Nietzsche nicht klar.
Seit dem Siege der Abstammungslehre kommt für die neuzeit-
liche Geisteslage „Kreislauf“ und „Wiederkehr“ nicht ernsthaft in
Betracht. Eine solche Lehre muß überdies, wie das indische Beispiel
zeigt, bestimmte metaphysische Voraussetzungen haben, die heute
fehlen. Worum der Kampf heute geht, ist der Begriff des Fort-
schrittes und der Lebensstufen.
B. F o r t s c h r i t t
Im Streit um den Fortschrittsgedanken spielt sich ein Kampf auf
Tod und Leben ab, den unsere Zeit auszufechten hat. Solange der
Begriff des Fortschrittes herrscht, herrscht notwendig die mechani-
stische, individualistische, aufklärerische Haltung. Denn seit der
Aufklärung gilt in der abendländischen Kultur der Gedanke, daß
das Menschengeschlecht fortschreite, unaufhörlich weiter fortschreite.
Diejenige Form des Fortschrittsgedankens, welche die Bildung der
letzten beiden Geschlechter bis in die tiefsten Poren durchdrang, ist
der D a r w i n i s m u s . Obzwar in der Biologie heute schon zu-
rückgedrängt, hat er doch noch eine starke Stellung in gedeckten
Formen, z. B. als „allgemeine Abstammungslehre“ (die den Fort-
schrittsgedanken aufrecht erhält und nur die Ursächlichkeit der Vor-
gänge mehr oder weniger unbestimmt läßt), und als der „geschicht-
liche Materialismus“ Marxens. Biologie, Rassentheorie, Vor-
geschichte, Geschichte sind heute immer noch im Banne des Ab-
stammungs- und Fortschrittsgedankens. Auch in der Soziologie
herrscht die Fortschrittslehre, wenn sie auch nicht mehr in so ein-
fachen Formen wie Comtes „Gesetz der drei Stadien“ oder Spencers
„Differenzierung“
1
auftritt. Ebenso in der Volkswirtschaftslehre,
wo die Lehre vom „automatischen Ent- / stehen“ der Erscheinungen
der Wirtschaft, z. B. des Geldes aus der „Annahme der absatzfähig-
1
Siehe oben S. 22 f. und S. 29 f.