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mal gestifteten Natur bleiben muß, auch nicht ins Grenzenlose
„fortschreiten“; am wenigsten kann sie mechanisch „fortschreiten“,
denn der Entfaltungsgang ist eine sinnvolle Fortsetzung der Stif-
tung; ferner erreicht die Entfaltung auch nicht einen Gipfel, von
dem sie wieder absteigen muß, um zu altern und zu stocken, viel-
mehr macht sie jenes Dasein, das sie durch die Stiftung einmal er-
langt hat, immer mächtiger. Denn die Entfaltung, der Ausbau ist
keine bloß äußerliche Zuendeführung, sondern eine Vertiefung des
Ge- / stifteten. „Keine äußerliche Zuendeführung“ will sagen, daß es
sich nicht um eine mengenmäßige Vermehrung handelt (wie bei
stofflichen Dingen). Die „Ausbildung“ ist ja nichts als e i n e F o r t -
s e t z u n g d e r G r ü n d u n g s t a t , Fortsetzung also eines
S c h ö p f e r i s c h e n . Denn wie die Gründung des Geistes, das
wiederholen wir, so ist auch seine Entfaltung nicht nach Art der
stofflichen Dinge zu betrachten. Die stofflichen Dinge mag man
durch ein Mehr oder Weniger, durch „Komplexion“ erklären (was
in Wahrheit allerdings nicht ausreicht); die geistigen Wesen entste-
hen jedenfalls anders. Wenn ein menschlicher Geist in die Welt
tritt, ist er aus den Vorbedingungen niemals eindeutig zu erklären.
Wie wollte man z. B. den großen Schöpfergeist eines Mozart aus
Eltern und Umwelt ableiten? Wie selbst den einfachen Menschen?
Das unterscheidet den Geist von der stofflichen Natur — sofern sie
wirklich rein ursächlich betrachtbar wäre. Der erste Durchbruch
alles geistigen Werdens; die verliehene Schöpferkraft der neuen
Persönlichkeit, die in die Welt getreten, das sich Gestalten, das sich
Einrichten derselben in der Vorgefundenen Welt — alles dies ist
aus dem Geheimnisvollen heraus zu betrachten. Bedenkt man dieses
Nicht-Mechanische, dieses auf die gewohnte mechanische, äußerliche
Art keinesfalls Erfaßbare des geistigen Entstehens und Bestehens,
dann muß man sich von dem Gedanken eines Verbrauchtwerdens,
eines Alterns des Geistes entschlossen losmachen. Der Geist kennt
keine Blüte und kein Altern, er kennt nur Schöpfertum, das sich in
sich selbst versenkt. Der G e i s t a l t e r t n i c h t , e r s c h r e i -
t e t v o n V e r t i e f u n g z u V e r t i e f u n g . Wer eine Wahr-
heit hat, kommt auch zu der andern. Das heißt Vertiefung.
So ist es aber, kraft der Gliedhaftigkeit des Einzelgeistes, nicht
nur im persönlichen Leben des Einzelnen, sondern auch im Leben
der menschlichen Gesellschaft. Das zeigte sich schon in anderen Zu-