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Dieses Lehrstück vom „ordre naturel“ erscheint uns Heutigen

vom Standpunkte der Verfahrenlehre aus in zweifachem Sinne als

grundlegend. Erstens, indem die Verfolgung des Eigennutzes als

naturrechtliches Postulat der Wirtschaftslehre aufgefaßt wird, ent-

steht zum erstenmal ein L e h r g e b ä u d e d e s w i r t s c h a f t l i -

c h e n I n d i v i d u a l i s m u s . Zweitens, die eigennützigen Wirt-

schafter gleichen nun (folgerichtig aufgefaßt) Atomen mit eindeu-

tig bestimmter Wirksamkeit; und die Erscheinungen bei ihrem Zu-

sammentreffen — auf dem Markte oder bei Gründung des Staates

— sind ebenfalls fest bestimmt. Damit ist die Volkswirtschaft aber

gleich der stofflichen Natur von blind wirkenden Kräften, von

m e c h a n i s c h - u r s ä c h l i c h e n G e s e t z e n , von Naturgeset-

zen beherrscht. Quesnay zog diese Folgerungen nur zaghaft, um so

mehr seine Schüler. Denn dies entsprach dem Erkenntnisideal der

Aufklärung.

Auf die Frage, welche die n a t u r g e m ä ß e Wirtschaftstätigkeit

sei, gibt Quesnay eine Antwort, welche zwar von jener atomisti-

schen Marktvorstellung zunächst noch abführt, aber die Wirtschaft

doch im materialistischen Sinne, nämlich von ihrer Stofflichkeit her,

erklärt. Sie lautet: Die Arbeit auf dem Boden ist nach der Natur-

ordnung die erste. Auf ihr allein, besonders auf dem Acker- / baue,

beruht die „Reproduktion des Reichtums“. „L’agriculture est la

source de toutes les richesses de l’Etat“, der Ackerbau ist die Quelle

alles Volksreichtums. Nicht Geld, Handel, Verkehr und Gewerbe

sind die Wohlstandsquellen, sondern der Ackerbau, der diese ande-

ren, bloß s t o f f u mw a n d e l n d e n u n d o r t s v e r ä n d e r n d e n ,

nicht aber neu schaffenden Tätigkeiten erst ermöglicht, indem er die

damit beschäftigten Menschen ernährt und die Rohstoffe liefert.

Handel, Gewerbe und Verfrachtung sind als „dépendance de l’agri-

culture“ aufzufassen.

Wir können uns das an einem handgreiflichen Beispiele etwa so vor-

stellen: der Landmann erzeugt mit dem Ochsen die Haut, mit dem Baum

das Holz. Statt aber Leder, Stiefel, Holzgeräte daraus selbst zu machen,

überträgt er diese stoffzurichtenden Arbeiten besonderen Arbeitern -—

dem Gerber, Schuster, Tischler — und bezahlt deren Unterhalt mit seinen

Überschüssen. Das Verhältnis ist demnach dieses: mehrere Landwirte

stellen sich einen Mann an, der ihnen aus ihrem Holz Holzschuhe schnei-

det, einen anderen, der ihnen aus den Häuten Leder gerbt, wieder einen,

der ihnen daraus Schuhe macht. Da scheint es nun klar, daß die Arbeit

des Landmannes die alleinige Quelle der Reichtümer ist, der „ M o t o r