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zupflanzen vermag, welche dem neuen Führertum unerschwinglich
bleibt.
Dazu kommt das, was man in der Gesellschaftslehre das „ G e -
s e t z d e r R a d i k a l i s i e r u n g d e r F ü h r e r “ innerhalb
der Demokratie nennen muß
1
. Die neuen Führer wechseln selber
wieder rasch ab und es kommen noch neuere. Diese sind aber grund-
sätzlich immer schlechtere; zuletzt dringt Verbrechertum und Un-
terwelt vor. Dadurch werden neue unabsehbare Spannungen her-
aufbeschworen. Sowohl jener grundsätzliche Führerwechsel wie
diese Radikalisierung sind, wie deutlich wird, in ihrer Weise eben-
falls ein „Sprung ins Dunkle“. — Im übrigen sind alle jeweiligen
Folgespannungen, die aus Führerwechsel und Ra- / dikalisierung
hervorgehen, nach der Stelle des Führers in der Ausgliederungs-
ordnung in ihrem Vorrangwerte zu bestimmen.
Bemerkenswert ist es, daß Bolschewiken wie Faschisten sich heute
durch sorgsame und abgeschlossene E r z i e h u n g e i n e s N a c h -
w u c h s e s , der als Führerstand gelten kann und jedenfalls gro-
ßenteils zur Führung bestimmt ist, sichern wollen. Dadurch unter-
scheiden sich beide Umwälzungen von den früheren liberalen zu
ihrem Vorteile.
Einen Fall ständiger innerer Umwälzung mit ihren Spannungen
stellt der gegenteilige Vorgang des Führungswechsels dar: der auf
stetige, langsame Weise sich vollziehende Wechsel der Geführten.
Man kann ihn auch A u s s t o ß u n g o d e r D e k l a s s i e r u n g
großen Stiles nennen. Hier entstehen Spannungen, die sich auch
ohne plötzlichen Bruch ansammeln und entfalten. Das grellste Bei-
spiel dieser Art ist wohl die durch Auflösung der alten ständischen
Wirtschaftsordnung und Einführung des wirtschaftlichen Liberalis-
mus, des sogenannten Kapitalismus, bewirkte Hinabstoßung der
ehemals zünftigen Gesellen und Meister in das „Proletariat“. We-
niger die Armut ist für sie das Bezeichnende als die Standlosigkeit,
das Preisgegebensein. Daher ist auch die W i e d e r e i n g l i e d e -
r u n g d e r A u s g e s t o ß e n e n in angemessene Ordnungen,
vor allem körperschaftlicher Art, das einzige Mittel, diese Span-
nungen wieder zu lösen.
1
Vgl. mein Buch: Der wahre Staat (1921), 4. Aufl., Jena 1938, S. 91 ff.