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Lebensempfindung. Weder das eine, noch das andere läßt sich mi-
schen. Die Gefahr und Wesenswidrigkeit des „Eklektizismus“ wird
hier sofort kenntlich. Jede Kreuzung der Stile droht in ein Ungan-
zes, Zusammengerafftes, Vermengtes auszuarten. (Die Minderwer-
tigkeit aller naturalistischen Kunst zeigt sich deutlich daran, daß
bei ihr infolge ihrer Zerfahrenheit die Gefahr der Vermischung
am geringsten ist — sie geht von Anbeginn nur auf ein Zusammen-
gerafftes, aus der Wirklichkeit Aufgelesenes.) — So geht es alle an-
deren Kulturgebiete hindurch. Auch bei der Veranstaltung (Orga-
nisation) besteht dieselbe Gefahr. Jeder S t a a t z. B. ist ein in sich
geschlossenes Stilgebilde; durchgängige Ebenbildlichkeit bezeichnet
auch ihn, sei er nun Lehensstaat oder sogar nur atomistisch-liberaler
und demokratischer Staat. Bloße Zusammenstellung des Verschie-
denen, Eklektizismus, ist auch ihm gefährlich. — Ähnlich die Stände,
ähnlich die Familie, ähnlich die Wirtschaft.
Auch die Verschmelzung zweier S p r a c h e n , die, rein äußer-
lich betrachtet, ungefährlicher scheinen mag, birgt in Wahrheit /
die größten Gefahren in sich. Fichte war es, der in seinen „Reden
an die deutsche Nation“ nachdrücklich auf den ungeheueren Nach-
teil hinwies, den eine „gebrochene Sprache" (kann man es treffen-
der bezeichnen, als die Sprache selbst es tut?) für das klare Denken
und für das tiefere Kulturleben eines Volkes hat. Houston Stewart
Chamberlain, der in gebrochenen Sprachen aufwuchs, hat weitere
Beiträge dazu geliefert. Daß die englische und alle romanischen
Sprachen keine Ursprachen, sondern gebrochene Sprachen sind, ist
eine grundlegende Tatsache des neueren Europa. Der Vorsprung,
den das deutsche Volk mit seiner unvergleichlichen Sprache, der
höchsten neben der griechischen, als einer Ursprache hat, ist nicht
zu ermessen. Der Hinweis auf große romanische und englische Dich-
ter etwa würde nichts gegen den tiefen Kulturschaden der gebro-
chenen Sprache beweisen. Denn daß Shakespeare und Dante in ge-
brochenen Sprachen dichten mußten, beweist nicht dagegen, daß
sie in reinen Sprachen noch mehr geleistet hätten. Übrigens soll mit
all’ dem nicht gesagt sein, daß nach jahrtausendelanger schöpfe-
rischer Ausgleichung der verschiedenartigen Bestandteile eine
Sprache nicht wieder eine neue Einheit erlangen könnte. Auch die
Ursprachen sind gewiß nicht ganz ungemischt, wie z. B. im Griechi-