284
[328/329/330]
Betrachtungen“, so auch Nietzsche. Nichts wäre wesenswidriger als
das. Sagt doch Burckhardt selbst: „Aber der Ruhm, welcher vor
denen flieht, die ihn suchen, folgt denen nach, welche sich nicht um
ihn bemühen“
1
. „Machtsinn“, „Wille zur / Macht“, „Ruhmsucht“,
„Ehrgeiz“ kann ein Genie höchstens haben, trotzdem es ein Genie
ist, aber nicht weil es eins ist. Ohne den unwiderstehlichen Schaf-
fensdrang, ohne Hingabe an seine Aufgabe kommt es nie zu jenen
Erleuchtungen, welche das Genie in Denken und Tun bestimmen.
Ehrgeiz und Machtsucht werden allezeit daran nur hinderlich sein.
Um den Weg zum Schauen, worin allein Eingebung besteht, zu
öffnen, bedarf es gerade des Gegenteiles: der Versenkung, des Stille-
haltens, der Hingabe, um sich vom Höheren durchdringen zu las-
sen. Hingabe, Opfer ist nach universalistischer Einsicht die einzig
fruchtbare Haltung des Geistes. Schon in der Gezweiung, der letz-
ten Voraussetzung geistigen Lebens und Werdens, herrscht ein ge-
heimnisvoller Umtrieb von Geben und Nehmen, derart, daß Neh-
men nur durch Geben (sich selbst Hingeben) und Geben nur durch
Nehmen möglich ist. Selbstsein ist nur durch Sein im andern. Die
Gezweiung selbst muß ihrem Inhalte nach Ganzheitsnähe haben.
Hingabe ist Urtatsache aller Gezweiung
2
. Nur soweit das Eigen-
leben des Gliedes sich (in Gezweiung) mit den Lebensinhalten des
Ganzen erfüllt, ist es Glied. Es tut das durch Selbsttätigkeit, aber
eben diese ist nur gliedhaft möglich. Wieder erscheint die Selbsthin-
gabe als die Vorbedingung für Sein überhaupt. Ist Sichselbsthin-
geben kein Abbruch an Sein, sondern die Vorbedingung dafür, Sein
zu erlangen, dann wird um so mehr Sein erbildet, je mehr Hingabe
aufgebracht wird. Je weniger Hingebungsfähigkeit, umso ärmlicher,
eingeschrumpfter wird das Dasein des Menschen. Der Selbstsüchtige
und Verbrecher ist darum nicht etwa eine kräftige „Persönlichkeit“,
vielmehr ein kümmerlicher, an innerer Seinsfülle einbüßender
Mensch. Auch ein Rasender mag „kräftig“ sein, aber geistige Seins-
fülle besitzt er nicht. Darum fällt der große Mann der „List der
Vernunft“ nicht zum Opfer, sondern / er bildet sich erst durch
Hingabe an die Vernunft (in Gemeinschaft) zum Sein heran.
1
Jacob Burckhardt: Die Zeit Konstantin des Großen (1852), 5. Aufl., Leipzig
1927, S. 248.
2
Gezeigt in meinem Buch: Gesellschaftslehre (1914), 3. Aufl., Leipzig 1930,
S. 113 5. [4. Aufl., Graz 1969, S. 143 ff.].