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den uralten Begriff des E i n h e r i e r t u m s , den der Glaube
unserer Altvorderen mit dem des Zarathustra und der Inder ge-
mein hatte. Der Einherier kämpft in der Götterdämmerung an der
Seite Wotans gegen das Heer der Hel. In der Sakuntala tritt der
Held im Kampfe mit den dunklen Mächten an der Seite der Götter
auf. Solchen Kampf für Gott verlangt auch der Gedanke des Chri-
stentums, und damit vollendet sich erst der Begriff des Menschen
überhaupt.
„Ihr sollt nicht wähnen, daß ich kommen sei, Frieden zu senden
auf die Erde. Ich bin nicht gekommen Frieden zu senden, sondern
das Schwert (Matthäus, Kapitel 10, Vers 34). „Die Ernte ist groß,
aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte,
daß er Arbeiter in seine Ernte sende“ (Matthäus, Kapitel 9 ,Vers 38).
Vom großen Schöpfergeist rührt alles Licht der Geschichte her.
Durch ihn erst wird das Leben der anderen zu erwecktem Leben,
durch ihn erst wird es aus Dumpfheit und Armut hinauf geführt
zum Licht und zur Fülle.
Im Einheriertum liegt auch E r l ö s e r t u m. Der große Führer
tritt den Fehlgestaltungen des Unholdentums entgegen und wird
zum Erlöser der Zeit von finsteren Gewalten. Darin liegt der Idee
nach jene Spannung, deren / Träger er ist: Die h e i l e n d e G e -
g e n s p a n n u n g . Alle falschen Übersteigerungen, alle trägen Ver-
kümmerungen, alle Verirrungen des Selbstischen und Unechten
müssen von ihm durchkostet, durchlitten, erkannt, entlarvt, be-
kämpft werden; und dadurch muß er zur Befreiung hinwirken. Wie
Christus der Erlöser gegen die Welt kämpft, so der große Mann in
seiner Weise gegen eine Teilwelt der Irrtümer, die in seinem Lebens-
gebiete liegt. Je weniger Erlösertum im großen Manne vollbracht
wird, um so mehr verfällt er selbst dem Unholdentum, dem Dämo-
nischen!
Nur selten gab es Zeiten der Geschichte, in denen das Unholdentum so viel
Boden hatte wie heute, die daher des Führers als Einheriers und Erlösers mehr
bedurft hätten. Alle Richtungen, die grundsätzlich auf Verflachung hinauslaufen,
also voran die materialistischen, empiristischen, positivistischen, haben heute
ihre „genialen Männer“ und „Bahnbrecher“. Aber ist das in der Zeit des Massen-
verkehrs, des Massenerwerbes, der Massenorganisation und der anstaltlichen
Pflege von jederlei Massenverflachung, z. B. durch Presse, Funkwesen, Lichtspiel,
Operette, Revue verwunderlich? Durchaus stilgemäß ist es da, daß selbst die-
jenigen Richtungen, die unzweideutig zur geistigen Unterwelt hinweisen, ihr
„Genie“ haben und dem Volke hoch rühmen. Früher waren es die Rousseau