[341/342/343]
295
des Einzelwesen nicht nur, sondern auch jede Ganzheit — z. B. jeder
Mensch nicht nur, sondern auch jeder Staat — bedarf in der Zeit
der Anknüpfung / an frühere Einzelwesen und Ganzheiten. Daß das
eine Wesen aus dem anderen hervorgeht, trifft aber nur auf der
körperlichen Ebene des Lebens zu. Die Z e u g u n g ist die höchste
Form dieses Hervorgehens. Für die geistigen Wesen ist ein Hervor-
gehen aus einander undenkbar. Vielmehr tritt der Geist des Einzel-
wesens auf einmal in die Welt, er tritt als „gegründeter“ auf, er
wird nicht gezeugt. Das Entscheidende ist hier, daß der Geist da-
durch der Anknüpfung an ein Früheres dennoch nicht enthoben
wird. Zwar ist die Gründung des Geistes an die körperliche Zeu-
gung nur als an eine Vorbedingung gebunden, aber der neu gegrün-
dete Geist selbst ist durch Mit-Umgliederung an frühere Geister
gebunden. Die Gezweiung in der Zeit sorgt dafür, daß Geist nur
an Geist (nicht aus Geist) wird. Indem sich so die Gezweiung als
Mit-Umgliederung, als Vorgang in der Zeit abspielt, wird sie zur
geistigen „Abstammung“. Die der Gezweiung (als an sich systema-
tische Kategorie gefaßt) entsprechende geschichtliche oder genetische
Kategorie ist daher die Abstammung im geistigen Sinne. Abstam-
mung ist als Mit-Umgliederung stets gemeinsame geistige Abstam-
mung mehrerer.
Es braucht nicht näher auseinandergesetzt zu werden, daß die geistige Ab-
stammung nicht die Freiheit, das E i g e n l e b e n des Gliedes, vernichtet. Wenn
z. B. Aristoteles von Platon geistig abstammt, so hindert das nicht, daß schon
seine Gründung eine arteigene ist und die Entfaltung diese Arteigenheit bewahrt.
Ferner lehrt uns der Begriff der geistigen Abstammung, daß in dem Abkömm-
ling schon a l l e E l e m e n t e v o n A n b e g i n n e n t h a l t e n s e i n
m ü s s e n , die später hervortreten. Damit ist ja nichts anderes als der Begriff
der G r ü n d u n g bestätigt. Die Entfaltung kann nichts grundsätzlich Neues
hervorbringen, sie kann nur das, was von Anbeginn angelegt, gegründet ist, aufs
Verschiedenste ausgestalten. Dafür sei einmal ein weiter abgelegenes Beispiel
erlaubt. Wenn es in der Wirtschaft „Geld“ überhaupt gibt, so muß „Geld“ schon
in der einfachsten Wirtschaft, die überhaupt denkbar ist, angelegt sein. Wenn
sogar die Gründung der Wirtschaft schon in der einfachsten Urzeit in solcher
Weise, wie man es sich heute (fälschlich) auf darwinistische Art denkt, statt-
gefunden hätte, so müßte „Geld“ bereits darin angelegt sein. / Und in Wahrheit
ist keine Wirtschaft denkbar, die nicht als Organisationselement (als „Kapital
höherer Ordnung“) dasjenige schon in sich schließt, was unter äußerst künst-
lichen und vielfältig ausgestalteten Verhältnissen später „Geld“ heißt und selbst
wieder mannigfache Formen annimmt.
Das muß man sich vor Augen halten, wenn man verstehen will, daß und
warum a u c h a l l e G a n z h e i t e n n i e m a l s o h n e a r t g l e i c h e