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Empörung der Kaisersöhne (gegen Otto I., Heinrich IV., Ludwig dem Frommen,
den Westgotenkönig Leovigild) gehören dem Unholdentum an. — Nahe ver-
wandt mit den genannten sind die Entartungen der K i r c h e : Erstarrung,
Unduldsamkeit,
Inquisition,
Hexenverbrennung,
Templerverbrennungen,
Ale-
xander VI., sind Beispiele dafür.
Ebenso muß man hier an die heutigen E n t a r t u n g e n d e r K u n s t
denken: absichtliche Primitivität, Dadaismus, Kubismus, Impressionismus, Ex-
pressionismus, Atonalismus und vieles andere mehr; ferner an die Entartungen
der W i s s e n s c h a f t : atheistische Wissenschaft, die das Irrationale und Hei-
lige verhüllt (Intellektualismus, Verachtung der Einfalt sittlicher Größe, das
heißt des Seins gegen das Denken); an die Entartungen der gesellschaftlichen
S i t t l i c h k e i t , worüber Moralstatistik, Strafrecht, Folter einige Auskunft
geben; an die Entartungen der M e n s c h l i c h k e i t im Kriege: Strelitzen,
Janitscharen; schwedischer Trunk, spanischer Reiter im 30jährigen Kriege; an
die Entartungen des leiblichen Lebens und des G e s c h l e c h t s l e b e n s .
Andere Entartungen, welche, vom Unholdentum heraufbeschworen, zu ge-
schichtlichen Spannungen führten, sind: statt gesunden Natursinnes und innerer
Naturverbundenheit — Deismus, mechanische Naturbetrachtung, rein mathe-
matische Physik, Darwinismus, Materialismus; statt völkischen Sinnes und Hei-
matsinnes Chauvinismus, Kirchturmspolitik; statt praktischen Sinnes Utilitaris-
mus, Gier, Geiz, Üppigkeit. Schon die Bequemlichkeit, indem sie wunschlos
macht, wirkt dämonisch. Daraus ermesse man die D ä m o n i e d e r n e u -
z e i t l i c h e n T e c h n i k . — Auch der Ersatz edler Menschlichkeit und Frie-
densliebe durch Humanitätsduselei und Pazifismus; der Gerechtigkeit und organ-
haften Freiheit durch Liberalismus, Demokratie, Parlamentarismus, Kommunis-
mus ist das Werk geschichtlichen Unholdentums.
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Zahllos sind die Spannungen, deren Träger das Unholdentum in
der Geschichte ist. Gering erscheint dagegen, was dem auf der an-
deren Seite an Spannungen entgegengestellt wird: die Macht der rei-
nen Idee und des Geistes, die höhere Eingebung und die Gelassen-
heit, die sie verleiht.
Beachtet man dieses Verhältnis der finsteren und der lichten Seite,
dann wundert man sich, daß der Verfall nicht längst um sich gegrif-
fen, nicht längst alles zerstört hat. Das Wunder ist nicht der Ver-
fall, das Wunder ist, daß die Geschichte überhaupt noch weitergeht.
Dieses Wunder liegt in der Eingebung des großen Menschen be-
schlossen. Aus ihr strömt der Geschichte die unversiegliche und un-
besiegliche Kraft des Fortganges zu. Die übersinnliche Macht, die
Gottheit selbst ist es, die in der Eingebung erweckend auftritt, und
die Geschichte als Vorsehung in Freiheit lenkt. Wird der große
Mann ihr Werkzeug, dann nur, wenn er als Einherier die dargebo-
tene Eingebung ergreift und als g e s c h i c h t l i c h e n A u f t r a g
frei ausführt. Damit nimmt er zugleich die Tragik des Einherier-
tums auf sich. Er nimmt das Leid auf sich, er geht unter im Kampfe
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