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Wahrnehmung macht — ein Satz, der sowohl psychologisch wie er-
kenntnistheoretisch schlechthin unbestreitbar ist.
Freilich bedarf es für diese Erkenntnis, soll sie nicht leerer Schall
sein, einer gewissen inneren Kraft, sich das Wesen des Geistes vor
Augen zu führen, die innere Selbständigkeit und das Schöpferische
des Geistes zu erfassen, es bedarf mit einem Worte bestimmter Er-
lebnisgrundlagen. Aber gerade auf diese wollen sich die Empiristen
nicht besinnen. Darauf ist nunmehr näher einzugehen.
Das Wahrzeichen des Empirismus ist von der Seite der Innerlich-
keit her die Ablehnung des Metaphysischen; von der Seite des Be-
griffes her das Sinnfällige und Einzelne als einzige Wirklichkeit. Ist
nun das Innere eines Menschen ametaphysisch, dann drückt ihm
das / stets einen bestimmten Stempel auf, er ist, so müssen wir
sagen, ein naturhafter Mensch. Die Züge solcher Naturhaftigkeit,
solcher Seelenblindheit zeigen denn auch unverkennbar alle Werke
und Menschen des Empirismus. Selbst jener Rationalismus, den er
erreicht, geht über das Naturhafte nicht hinaus. Die andere Seite
dieser Naturhaftigkeit ist aber notwendig, das kann nicht unausge-
sprochen bleiben, — Plattheit. Damit soll dem empiristischen Phi-
losophen nicht Begabung und namentlich nicht Beobachtung, Hin-
gabe an die Wirklichkeit abgesprochen werden. Was ihn aber stets
kennzeichnet, ist das Haftenbleiben an der Oberfläche, am Hand-
greiflichen, Dinglichen. Der Empirist hat Scharfsinn, aber keinen
Tiefsinn, er hat Geistesgewandtheit, aber keine innere Ruhe, er hat
Beobachtungsgabe, aber er kann nicht bewundern. Er ahnt das
W u n d e r d e s G e i s t e s nicht. Er nimmt auch das geistige
Geschehen nach Art der vernunftlosen Natur. Den Mangel an phi-
losophischem Sinne geißelte schon Schiller:
„Blinde, weiß ich wohl, fühlen und Taube sehen viel schärfer.
Aber mit welchem Organ p h i l o s o p h i e r t denn das Volk?“
„Steil wohl ist er, der Weg zur Wahrheit, und schlüpfrig zu steigen,
Aber wir legen ihn doch nicht gern auf Eseln zurück.“
Der Empirist weiß nicht genug davon, daß der Mensch mehr ist
als ein Sinnenwesen. Darum sagte Platon vom Sophisten, daß er im
Dunkel des Nichtseienden (des
μή όν
)
lebe
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.
1
Platon: Sophistes, übersetzt von Otto Apelt, Leipzig 1914, 254 a (= Philo-
sophische Bibliothek, Bd 150
).