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65

C.

Zur B e u r t e i l u n g d e s E m p i r i s m u s

In der Darstellung der Verschiedenheit und Übereinstimmung

der empiristischen Lehrgebäude sowie der Fehl- und Misch-

systeme

1

/ war notwendigerweise auch schon eine Beurteilung

eingeschlossen. Eine weitere Kritik ergibt sich später von selbst

durch die Darstellung des Apriorismus, des sittlichen Idealismus und

des ontologischen Idealismus.

Nur das eine sei hier noch ausdrücklich erklärt: Der Grund- und

Urgedanke alles Empirismus, nämlich des Sensualismus, das „nihil

est in intellectu ...“, ist unrichtig. Es ist n i c h t w a h r , d a ß

a l l e E l e m e n t e u n s e r e r E r f a h r u n g a u s d e n

S i n n e s r e i z e n s t a m m e n . Es ist nicht wahr, daß die Be-

wußtseinsvorgänge nur Naturvorgänge wären. Wenn z. B. ein

Stein beleuchtet und erwärmt, ein Blatt Papier mit Tintenstrichen

versehen wird, so haben sie keine Sinnesempfindung wie der Mensch.

Warum nicht? Weil zwar (abgesehen vom Fehlen der Organe) die

Einwirkung der gleichen Licht- und Wärme-„Reize“ da ist, aber

dem Stein wie dem Papier die innere, geistig-seelische Aktivität

fehlt. Damit es zur Sinnesempfindung komme, muß der Mensch

nicht nur bestimmte chemisch-physikalische Voraussetzungen in sei-

nen Sinnesorganen haben, sondern vor allem: eine innere Selbsttä-

tigkeit entfalten, er muß G e i s t sein! Den Beweis hiefür führte

schon unsere Kritik des Materialismus

2

, die spätere Erörterung der

Kantischen und Fichteschen Lehre

3

wird ihn noch vertiefen. So-

viel ist aber jetzt schon klar, daß infolge der schöpferischen Aktivi-

tät des Geistes der Lockesche Vergleich der Seele mit einem weißen

Blatt Papier nicht stimmt und auch darum der Satz „nihil est in

intellectu, quod non fuerit in sensu“ unrichtig ist

4

. Mit Recht ver-

trat dagegen Hegel

5

den umgekehrten Satz: nihil est in sensu,

quod non fuerit in intellectu. Denn erst die geistige Auffassung

eines Sinneseindruckes ist es, welche diesen zur Empfindung, zur

1

Siehe oben S. 49 ff.

2

Siehe oben S. 52 f.

3

Siehe unten S. 85 ff. und 120 ff.

4

Siehe unten S. 84.

5

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wis-

senschaften im Grundrisse, in 2. Auflage neu herausgegeben von Georg Lasson,

Leipzig 1920, § 8 (= Philosophische Bibliothek, Bd 33).

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