62
[59/60]
letzt materieller Art in sich. Wenn auch dieser Standpunkt nicht im
ontologischen Sinne zum Materialismus wird, also nicht formell zu
einer unsere Erfahrung überschreitenden Bestimmung des Seins, das
den Empfindungen und Vorstellungen zugrunde läge, weitergeführt
wird, so bedeutet doch die Einordnung des Geistes in den Naturzu-
sammenhang und seine damit gegebene Auffassung nach Art der
stofflichen Erscheinungswelt eine stetige, verdeckte innere Krise des
Empirismus, die innerlich immer wieder zum Materialismus hin-
drängt.
6.
In der N a t u r a l i s i e r u n g d e s G e i s t e s w i r d
d e r M e n s c h i m m e r m e h r z u m T i e r g e m a c h t ,
u n d i n d i e s e r T i e r h e i t a u f f a s s u n g l i e g t
d i e W u r z e l d e r A b s t a m m u n g s l e h r e .
Dieser Satz wird vielleicht Widerspruch finden. Er ist aber sowohl
logisch begründet wie auch geistesgeschichtlich offenbar. Die Ent-
wicklungslehre, der „Evolutionismus“, brauchte nicht erst auf D a r -
w i n zu warten, sie erfüllt das gesamte Aufklärungszeitalter. Sie
entspricht auch den in allen bisherigen Punkten (1—4) angeführten
Grundsätzen, welche alle insgesamt die Entstehung der Erkenntnis
und des gesamten menschlichen Geisteslebens von u n t e n h i n -
a u f erklären — nämlich von den sensuellen einzelnen Eindrücken
hinauf zu Erinnerungen, Vorstellungen und Begriffen, alles als
Naturvorgang aufgefaßt. Der mechanische Entwicklungsgedanke ist
nichts anderes als die Ausdehnung der atomistischen Erklärung der
stofflichen Welt auf den gesamten Menschen (denn alle Atomistik
geht von unten hinauf). Der Idealismus dagegen erklärt von oben
hinab, wie später zu zeigen sein wird.
7.
In der N a t u r a l i s i e r u n g d e s m e n s c h l i c h e n
I c h l i e g t e i n e S e 1 b s t v e r n i c h t u n g d e s I c h —
eine ungewollte, aber zuletzt unvermeidliche Verneinung des Aus-
gangspunktes jedes Empirismus. Hier haben wir den grundsätzli-
chen inneren Widerspruch, die eigentlichste Paradoxie des Empiris-
mus vor uns. Der Empirismus legt alles auf den Einzelnen an, be-
ginnt mit dem menschlichen Subjekt, vernichtet aber durch / dessen
Naturalisierung seine Selbständigkeit, sein Wesen und seine Würde.
Indem der Empirismus, so kann man es auch kurz ausdrücken, den