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Liest man heute Hobbes, Locke, Hume, Comte, so staunt man
über die Verwässerung der alten Lehrbegriffe, über die kaum faß-
bare Flachheit ihrer Gedankengänge, die sie nirgends den Wald vor
lauter Bäumen sehen läßt. Sie kommen vom Einzelnen nicht zur
Einheit, nicht zum Substantiellen der Wirklichkeit. Man fragt sich,
wie solche Bücher, die auch viel weniger ursprünglich waren, als
die heutigen Geschichtschreiber der Philosophie sie hinstellen, weil
sie von den Nominalisten zehrten, geistesgeschichtlich wirken konn-
ten. Eine andere Erklärung als die: daß sie in die p o l i -
t i s c h e Z e i t s t r ö m u n g e n e i n g r i f f e n , daß sie näm-
lich allen jenen Bestrebungen, welche die überkommenen kirchli-
chen, politischen Bindungen auflösen wollten, mittelbar entgegen-
kamen und ihnen die notwendigen geistigen WafFen lieferten —
eine andere Erklärung als diese politische gibt es für die tiefen Wir-
kungen der meisten Bücher der Empiristen nicht. Im gesamten
Empirismus sehen wir eine wahre Maulwurfs- / philosophie am
Werke, die immer in der Erde wühlt und immer im Dunkel bleibt.
Wo die seelische Blindheit für das Übersinnliche herrscht, hat es
mit der braven Mittelmäßigkeit leider nicht sein Bewenden: auch
die Unterwelt tritt auf. Daß z. B. Rousseau sexualpathologische An-
lagen hatte, kann jeder aus seiner eigenen Lebensbeschreibung ent-
nehmen. Er kann aber auch hinter der schillernden und geistsprü-
henden Art seiner Gedankenführung den verworrenen Denker,
hinter seinem Kulturhaß den nur schwer lebensfähigen Menschen
sehen, der die Menschheit zu sich herabziehen will.
Das U n h o l d e n t u m fehlt in der Geschichte der Philosophie
so wenig wie in anderen Gebieten der Geschichte.
Angesichts der großen Rolle des Empirismus in der Geschichte
wäre es trostlos, wenn er nur und ausschließlich als das Platte, Un-
holdische, Nichtseinsollende zu kennzeichnen wäre: Er hat doch
auch etwas Aufbauendes an sich! Schon früher hoben wir seine ver-
hältnismäßige Berechtigung als Gegenzug zur Erstarrung und zu
dem Verfall der jeweiligen metaphysischen Gedankenwelt (sowie
mittelbar auch der politischen Zustände) hervor. Darüber hinaus hat
der Empirismus aber doch auch eine selbständige Berechtigung, und
zwar durch seinen E r f a h r u n g s s i n n , Wirklichkeitssinn. Ist
dieser auch auf das Sinnfällige oder höchstens das Verstandesmäßige
beschränkt, ja kann er zuletzt der Plattheit nicht entgehen, so be-