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den sind, nicht um naturhafte, mechanische Abläufe handle. A u f -
b a u e n d ergibt sich.: Das begriffliche Denken, das künstlerische
Gestalten, das vernunftbestimmte, sittliche Wollen und Handeln
findet sich selbst als ein Eigenes, Ursprüngliches, ihm allein Zuge-
höriges. Es ist nicht sowohl ein Hervorgebrachtes als ein Hervor-
bringendes.
Jeder kann dieses Eigene, Hervorbringende in sich erleben, und
sei es auch an der einfachsten Denkbemühung, Gestaltung, Wollung,
Handlung. Am deutlichsten kann man es sich vielleicht machen,
wenn man jenen Schlag von Menschen, in welchem das Eigene, Selb-
ständige, Freie des Geistes geschwächt ist und der sich dadurch der
Naturhaftigkeit annähert (ganz mit ihr zusammenfallen kann er nie,
denn dann hörte jeder Gedanke auf, wie denn auch der Stein nicht
denken kann), mit jenem anderen Schlage von Menschen vergleicht,
in welchem es sich kräftig behauptet. Shakespeares „Falstaff“ zum
Beispiel ist ein Mensch, dessen sittliche Unfähigkeit ihn bis hart an
die Naturhaftigkeit heranführt. Er vergißt sofort seine eigenen
Lügen, weil ihm Wahrhaftigkeit in denkerischer wie in sittlicher
Hinsicht schwer fällt, er also weder klar denkt noch anders als
triebhaft handelt. Wie ganz anders dagegen jener einfache, rührende
Mensch, den Grillparzer als den „Armen Spielmann“ unsterblich
macht. Dieser verliert in seiner Weltfremdheit alles, wird in größte
Armut gestürzt, findet sich aber niemals zu einem Zugeständnis an
das Unrecht bereit. Er wirkt, trotz seiner sonst schwachen Geistes-
kräfte, in Dürftigkeit erhaben durch unverbrüchliches Festhalten am
Rechten. Dieses weiß er gegen eine Welt zu behaupten. Nähert sich
Falstaff durch willenloses Sich-Treiben-Lassen von sinnlicher Lust
und Unlust dem Äußerlich-Naturhaften an, so erhebt sich der arme
Spielmann durch ureigenen sittlichen Entschluß hoch über das bloß
Naturbestimmte empor. Nicht durch glänzende Gaben, nur durch
wahrhaftiges Denken und Wollen ist er groß. Das über allem Wech-
sel des Nützlichen Erhabene, welches in der Sittlichkeit ihrem Sinne
nach liegt, wird von dem armen Spielmann mit unbeirrbarer Sicher-
heit nicht g e w u ß t , noch gelehrt, aber / g e l e b t . Ihm könnte
eine empiristische Sittenlehre, falls er ihre Begriffe zu entwerfen
vermöchte, niemals in den Sinn kommen. Seine innere Haltung
widerspricht schroff jedem Begriffe der Sittlichkeit als „größtmög-
licher Lustmenge“.