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u n d O n t o l o g i e , mit welcher eine N a t u r p h i l o s o p h i e
notwendig verbunden ist, von der Philosophie nicht mehr, wie
beim Empirismus, ausgeschlossen sind, mögen sie auch noch so be-
hutsam, nämlich als bloße „Grenzgebiete“ behandelt werden. — Die
Grundlegung der Wissenschaften, die V e r f a h r e n l e h r e , wird
nun ebenfalls nicht mehr zu einem ausschließlich naturwissenschaft-
lichen, das heißt ursächlich-mechanischen / Standpunkt führen, da
ja das begriffliche wie das sittliche Apriori der Ebene des Mecha-
nischen und bloß Naturhaften entzogen ist. Demgemäß wird der
Begriff der G e l t u n g oder des W e r t e s , ferner die Betrach-
tung des Z w e c k e s (teleologisches Verfahren), sowie jene der
Ganzheit notwendigerweise neben die ursächlich-mechanische Be-
trachtung treten.
Die Bereicherung und Neugliederung der Philosophie durch den
Apriorismus liegt also darin, daß einerseits Metaphysik und Onto-
logie, wenigstens als Grenzfächer, auftreten, andererseits Erkennt-
nis-, Sitten- und Kunstlehre nicht mehr Teile der Seelenlehre sind,
sondern ein eigenes Gefüge (das apriorische) erhalten; während
die Gesellschaftslehre durch die Möglichkeit des Überindividuellen,
die Verfahrenlehre durch den Wert- und Zweckbegriff bereichert
wird.
Im übrigen werden die begrifflichen Ausprägungen einer Lehre,
welche gültige Wahrheiten und apriori verbindliche Sittlichkeit an-
erkennt, darin liegen, daß sie sich entweder mehr auf die Seite des
verstandesmäßigen Denkens wendet und dann in besonderem Maße
R a t i o n a l i s m u s wird, oder aber mehr auf die Seite des sitt-
lichen Bewußtseins und dann im besonderen Maße M o r a 1 i s -
m u s, Sittlichkeitsbegründung, wird.
Die einfachste Erklärung aller Fragen des Apriorismus ist die ge-
schichtliche. Wir begnügen uns der Kürze halber mit den drei wich-
tigsten Beispielen: Sokrates, Leibniz und Kant und übergehen dabei
insbesondere den englischen Platoniker R a l p h C u d w o r t h
(1617—1688), der ebenfalls sagte, daß die Grundbegriffe des Ver-
standes nicht aus der Sinnlichkeit stammen.