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Mystik ist endlich auch nicht etwas, was im Subjektiven stecken

bliebe. Wenn man etwas sagt, daß es sich in der Mystik um „Ge-

fühle“ handle, die dem Einzelnen persönlich angehören, so vergißt

man, daß es sich auch in der Mathematik um Gedanken und An-

schauungen handelt, die der Mathematiker persönlich denken und

schauen (begreifen) muß. Die Frage lautet vielmehr, wieviel All-

gemeingültiges in jenen persönlichen Erlebnissen stecke? Gleichwie

jeder wahre Gedanke, so ist auch jedes echte Erlebnis, obzwar ganz

der Person zu eigen, von allgemeiner Gültigkeit. Je tiefer Gedanke

und Erlebnis die menschliche Natur berühren, um so mehr geht es

auch alle anderen Menschen an.

Erkennt man, daß Mystik nicht das Unklare, nicht das bloß Sub-

jektive sei, so ist dies keine bloße Verneinung, sondern schon ein

Hinweis auf etwas Tatsächliches — auf jene Grundtatsache, welche

alle Mystik kennzeichnet: Es ist die Berufung auf ein Unmittelbares,

das allem Geistigen wie sogar allem Sinnlichen des Menschen zu-

grunde liegt; auf ein Unmittelbares, das nicht durch Sinnbilder

oder Zwischenglieder ausgefüllt noch erklärt werden kann, sondern

innerlich erfahren sein will.

Mystik ist der Rückgang auf ein Unmittelbares. Sie ist die Ein-

kehr des Geistes in seine ursprüngliche innere Welt.

Hiermit wollen wir keine Begriffsbestimmung und auch nicht die

Hauptlehrpunkte der Mystik angeben. Zunächst gilt es nur auf das,

was aller Mystik zugrunde liegt, auf eben jene Unmittelbarkeit

der inneren Erfahrungen hinzuführen.

Eine Tatsache, über die unsere Denklehre sowohl wie unsere See-

lenlehre hinwegzugehen pflegt, ist, daß jenes Unmittelbare unserem

gesamten Denken wie unserem gesamten Seelenleben zugrunde

liegt! Die herrschende Denklehre behauptet, wie früher berührt, der

Begriff bestünde darin, daß er die unendliche Mannigfaltigkeit un-

serer sinnlichen Eindrücke vereinfache, vereinheitliche. Aber wenn

er wirklich / darin bestünde, käme er in der Tat nie zu Ende.

Soviel ist zwar gewiß, daß der Begriff in irgend welchem Sinne die

Einheit jener unerschöpflichen Mannigfaltigkeit sein muß. Aber er

ist es nicht in dem empiristischen Sinne, daß z u e r s t die zahl-

losen Eindrücke da wären und d a n n einige wenige ausgewählt

würden, zum Beispiel nach dem Grundsatze der „Ökonomie“; denn

diese wenigen „Merkmale“ würden dann keine sinnvolle Einheit