E r s t e r T e i l
Verfahrenfragen
I.
Von den Erfordernissen einer philosophischen Geisteslehre
Muß die sogenannte Erfahrungsseelenlehre wieder durch eine
philosophische Geisteslehre, wie sie allen großen Philosophien der
Geschichte eigen war, ersetzt werden, dann fragt es sich, welche
Erfordernisse sie zu erfüllen habe.
Die Erfordernisse einer p h i l o s o p h i s c h e n G e i s t e s -
l e h r e o d e r P n e u m a t o l o g i e liegen vor allem im Verfah-
ren. Die erste Forderung lautet: Die g e i s t i g e n E r s c h e i -
n u n g e n s i n d n i c h t a l s N a t u r e r s c h e i n u n g e n
a u f z u f a s s e n . Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen die Tat-
sachen der inneren Erfahrung des Menschen in keiner Weise mehr
atomistisch und demgemäß auch nicht mechanistisch behandelt wer-
den. Die empiristische Seelenlehre mußte notwendig zum Begriffe
des seelischen Atoms, nämlich der einzelnen Empfindung und Vor-
stellung, sowie ihrer Mechanik, der sogenannten „Vorstellungs-
Assoziation“, kommen, sollte sie ihren Gegenstand als „Gegeben-
heiten der Erfahrung“ auf naturwissenschaftliche Weise behandeln.
Diesen Weg will man in neueren psychologischen Schulen zwar
teilweise schon vermeiden. Aber: welches Verfahren ist dem so fol-
gerichtig ausgebildeten atomistischen entgegenzusetzen? — das ist
die Schicksalsfrage! Von der Überwindung des geistigen Atomis-
mus hängt alles ab. Durch die neuesten Versuche, Begriffe wie
„Gestalt“, „geordneter Denkverlauf“, „Struktur“ ein- / zuführen,
ist noch lange kein Verfahren ausgebildet, welches dem alten in
allen Punkten entgegengesetzt werden könnte; besonders nicht,
wenn diese Begriffe selber wieder mechanistisch verwendet werden.
Vielmehr bedarf es eines Systemgedankens, eines Verfahrens, wel-
ches die nötigen B e g r i f f s m i t t e l liefert, um den Reichtum
der geistigen Erscheinungen aufzunehmen und dem dürren atomi-