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t u r w i s s e n s c h a f t zur Ausbildung der mechanistisch-mathe-
matischen Physik führt und in den G e i s t e s w i s s e n s c h a f -
t e n ebenfalls naturwissenschaftliche, also mechanistische und
mathematische Verfahren zur Geltung bringen wollte.
Eine „Erfahrungsseelenlehre“ gibt es nur auf dem Grunde einer
naturhaften, also empiristischen und materialistischen Auffassung
der seelischen Erscheinungen. Ein kurzer Blick auf die / Lehr-
geschichte der heute „Seelenlehre“ genannten Wissenschaft würde
das bezeugen.
Wir lassen aber die Lehrgeschichte, die dem Wesen der Sache
nach hier folgen sollte, infolge des heute vielfach bestehenden Man-
gels an philosophischem Rüstzeuge vorläufig beiseite, verweisen
für sie auf den Anhang und wenden uns sogleich dem Aufbau der
Geisteslehre selbst zu.
Zuvor noch ein Wort über die Bezeichnungen „Geist“ und „Seele“. Beide
werden im Deutschen wie im Griechischen meistens als gleichbedeutend ver-
wendet. Wir können uns diesem Sprachgebrauche nicht entziehen. Sofern aber
doch ein Unterschied gemacht wird — und es ist wünschenswert, daß er gemacht
werde —, deutet das Wort „G e i s t “ mehr auf das Vernünftige, Klarbewußte
und das Allgemeine des Gedankens hin, somit auf das Höhere, nämlich das
Denken, Lieben, künstlerische Gestalten, bewußte Wollen und Handeln; aber
es deutet auch in einem engeren Sinne noch auf den eigentlichen und letzten
Träger der Ichheit im Menschen hin, auf die Schöpferkraft, das Freitätige, die
Selbstsetzung. Dagegen bedeutet dann das Wort „ S e e l e“ folgerichtigerweise das
zwischen Geist und Leib Liegende, dasjenige, was dem Leben und damit auch
dem Instinkthaften, Sinnlichen näher steht. — Soll also das gesamte innere Leben
des Menschen bezeichnet werden, so ist mit größerem Rechte von „Geist“ als
von „Seele“ zu sprechen, und so werden wir es halten.
Dagegen ist die öfters versuchte Dreiteilung von „Geist, Seele und Leib“
insofern unhaltbar, als sie „Geist“ und „Seele“ wie zwei getrennte Wesen-
heiten nebeneinander annimmt. Man kann aber logischerweise in dem e i n e n
menschlichen Innenleben nicht zwei Seelen, sozusagen die geistige und die see-
lische Seele, unvermittelt nebeneinanderstellen. Denn dann wären zwei innere
Menschen, nicht einer, vorhanden. Wir führen daher die seelischen Erscheinungen
auf den Geist zurück.
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