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I. Die Zeit
A.
Z e i t i s t n u r d u r c h Z e i t l o s e s m ö g l i c h
Die Zeit, wie es so oft geschah, einfach als das „Nacheinander“
von Erscheinungen zu bestimmen, ist eine Tautologie, da dieses
„Nacheinander“ ja eben erklärt werden soll. Will man das
Wesen der Zeit verstehen, so muß man auf diejenigen Seins-
schichten zurückzugehen suchen, welche sich in der Form der
Zeit setzen. Ich habe mich darüber bei einer früheren Gelegen-
heit ausführlich geäußert und darf der Einfachheit halber die
wichtigsten Stellen hier anführen
1
.
Die Zeit gehört nicht nur der stofflichen, sie gehört auch der
geistigen Seinsordnung an. Nicht nur die Bewegung im Raume,
auch die geistige Bewegung verläuft in der Zeit. Während der
Geist sich nicht verräumlicht, gliedert er sich doch zeitlich aus.
D a r u m k a n n d e r M e n s c h d a s W e s e n d e r Z e i t
b e g r e i f e n , d a s d e s R a u m e s n i c h t . Beobachten wir
unser eigenes Geistesleben in seiner zeitlichen Ausgliederungs-
weise, so finden wir: daß die Zeit nicht ein mechanisches
Nacheinander von Setzungen ist, sondern daß der Geist, indem
er seine Aus- / gliederung in der Zeit durchführt, das heißt sich
umgliedert, immer er selbst bleibt, daß er als das Beharrende im
Wechsel, als das Beharrende im Verlaufe der Umgliederung
besteht. „Umgliederung“ schließt aber auch schon dadurch, daß
sie einen s i n n v o l l e n Zusammenhang darstellt, jede bloß
mechanische Aneinanderreihung aus.
Wodurch ist der Unterschied von Ausgliederung und Um-
gliederung gekennzeichnet? Die Ganzheit gliedert sich (syste-
matisch) aus. Diese Ausgliederung ist aber nicht endgültig;
sondern die Ganzheit nimmt sich fortwährend zurück und glie-
dert sich fortwährend neu aus — sie gliedert sich um. Dieses
„neu“ ist aber nicht etwa eine versteckte Einführung des Zeit-
begriffes, des Nacheinander, vielmehr hat es eine eigene Bestim-
mung an sich. „Ausgliederung“ der Ganzheit ist nur möglich
durch ein Formendes, das selber unverformt bleibt, durch ein
Setzendes, das selber ungesetzt bleibt, durch ein Ausgliederndes,
das selber unausgegliedert bleibt, das am Grunde bleibt. Das
Setzende geht in seiner Setzung, die Ganzheit geht in ihren Glie-
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Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 375ff.