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i s t n u r d u r c h Ü b e r r ä u m l i c h e s m ö g l i c h . Denn:
Nebeneinander ist nur durch Miteinander oder Zusammenbe-
stehen möglich.
Wir können daher auch sagen: Stetigkeit ist wesensnotwendige
Mitgesetztheit eines anderen, freilich nur äußerlicher Art, nur
Mitgesetztheit im äußeren Nebeneinander, nämlich jenes anderen,
das räumlich benachbart ist, in berührender Weise angrenzt.
4.
Die Gestalt
(Vorläufige Begriffsbestimmung)
Der Raum vollendet sich in der Gestalt. In der Gestalt wird
das Überräumliche nicht erschlossen: es tritt in ihr zutage.
Denn die räumliche Gestalt ist nicht nur mehr als die Summe
der einzelnen Linien und Teilräume, sie ist eine Einheit, eine
Ganzheit, allerdings keine geistige Ganzheit. Gestalt ist ein
Ganzes, von dem aus erst jede einzelne Linie ihren Anteil
erhält. Und jede Teilgestalt ist nur durch Anteilnahme an der
Gesamtgestalt
1
. Die Einheit der Gestalt ist also etwas Ü b e r - /
r ä u m l i c h e s , von dem aus erst die Raumteile ihre Bedeutung,
ihren Gestaltwert erhalten.
Der Gestalt-Begriff ist nicht an die einzelne raumbildende
Kristallkraft verhaftet, z. B., eine Landschaft (oder die Erde)
als Ganzes hat auch „Gestalt“, trotzdem die Landschaft kein
Kristall ist. Was ist das, was bei der Landschaft an die Stelle
der bevorzugten Richtungen des Kristalls tritt? Der Charakter,
die Stimmung, das Musikalische der Landschaft hält sie zu-
sammen. Auch Licht und Farbe gehört zu dieser Einheit, drückt
bevorzugte Richtungen aus.
Sind aber die Teilgestalten kein bloßes Nebeneinander, so
sind sie auch keine bloßen Summanden; sondern indem sie nur
vom Ganzen der Gestalt her begreiflich sind, sind sie vielmehr
S t r u k t u r e l e m e n t e . Strukturelement ist aber etwas ganz
anderes als ein Atom. Das Strukturelement ist zugleich ein In-
einander, ist im Ganzen aufgehoben, in der Einheit verschlungen.
Alle Teilräume einer Raumgestalt sind demnach nur durch den
Einheitsbezug auf die Gesamtgestalt gegeben.
1
Am bekanntesten ist diese Erscheinung bei Gemälden, besonders jener
Künstler, die sehr formkräftig sind. Man denke z. B. an die Disputa von Raffael.
Jede einzelne Linie hebt auch jede andere Linie.