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Das ist ein tiefer Blick in das Wesen der Zahl, den Kant getan.
Aber ist damit der Zahlbegriff schon vollendet? Das müssen wir
verneinen. Denn nun bleibt noch die große Frage offen, wie der
Fortgang des Zählens zustande komme, woher die vielfältigen
und überraschenden Eigenschaften der Zahlen kämen, das heißt
die Tatsache, daß es ein Zahlensystem gebe? Die Antwort ergibt
sich daraus: daß das Aneinanderreihen von Setzungen, welches
in der Zahl liegt, kein schlechthin abstraktes, kein schlechthin
bestimmungsloses sei. Wäre nämlich die Zahl rein abstrakt,
dann könnte man jede Setzung mit jeder anderen, z. B. die 6.
Setzung mit der 5. auch vertauschen. Aber gerade das wird durch
die Zählung ja ausgeschlossen. Dann ergibt sich: Zahl ist das
Festhalten der Setzungen (a) in ihrer Aufeinanderfolge schlecht-
hin; und (b) zugleich ihrer bestimmten Stelle in der Aufeinander-
folge. Das erstere, das Festhalten der Aufeinanderfolge schlecht-
hin (das, was Kant die „Synthesis“ in der Zeit nannte), ergibt
nur die Zahl überhaupt; erst das letztere, das Festhalten der
Setzung in der b e s t i m m t e n Abfolge (also in ihrer jeweiligen
Bestimmtheit durch vorangehende und nachfolgende Setzungen),
ergibt erst die wirkliche, die b e s t i m m t e Zahl. Nun ver-
steht sich, daß „6“ nicht eine Setzung schlechthin, sondern jene
ist, die auf „5“, auf die fünfte Setzung, folgt und selbst wieder
vor „7“ steht.
E r s t a u s d e m F e s t h a l t e n d e r j e w e i l s b e -
s t i m m t e n A b f o l g e e r g i b t s i c h d a s Z a h l e n -
s y s t e m , jene merkwürdige Tatsache, die man das Gefüge der
Zahlen nennt, das, woraus sich erst die vielfältigen Eigenschaften
der Zahlen herleiten. So zeigt sich bei näherem Zusehen, daß
die Setzungsfolge „6“ (weil sie nach „5“ kommt, welcher selbst
wieder 4 Setzungen vorangehen usw.) aus 2X3 Setzungen „be-
stehe“, das heißt, so angesehen / werden könne, als ob sie das Er-
gebnis nicht von 6 einzelnen Setzungen, sondern von 2X3
Setzungen wäre, darum durch 2 und 3 teilbar sei — während die
nächste Setzung, „7“, alle diese Eigenschaften nicht hat und über-
haupt nicht teilbar ist. Ebenso ergibt sich aus solchem Festhalten
des Ortes der Abfolge die Unterscheidung von sogenannten Kar-
dinalzahlen („sechs“) und Ordnungszahlen („der sechste“); ferner
durch einen Kunstgriff des Denkens in der Art des Setzens die
Unterscheidung von positiven und negativen Zahlen usw. Eben-