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die sich endlich bis zum Rubinroten steigert.” (§ 150.) — „Wird hingegen durch
ein trübes, von einem darauffallenden Lichte erleuchtetes Mittel die Finsternis
gesehen, so erscheint uns eine blaue Farbe, welche immer heller und blässer wird,
je mehr sich die Trübe des Mittels vermehrt, hingegen immer dunkler und satter
sich zeigt, je durchsichtiger das Trübe werden kann, ja, bei dem mindesten Grad
der reinsten Trübe als das schönste Violett dem Auge fühlbar wird.” (§ 151). —
„Wenn diese Wirkung auf die beschriebene Weise in unserm Auge vorgeht und also
subjektiv genannt werden kann, so haben wir uns auch / durch objektive Er-
scheinungen von derselben noch mehr zu vergewissern. Denn ein so gemäßigtes
und getrübtes Licht wirft auch auf die Gegenstände einen gelben, gelbroten oder
purpurnen Schein, und ob sich gleich die Wirkung der Finsternis durch das
Trübe nicht ebenso mächtig äußert, so zeigt sich doch der blaue Himmel in
der Camera obscura ganz deutlich auf dem weißen Papier neben jeder andern
körperlichen Farbe”. (§ 152.)
Die chemischen Farben entstehen nach Goethe dadurch, daß die Oberflächen-
schicht gefärbter Körper durchsichtig ist und wie ein trübes Mittel wirkt.
Bedeutsam ist auch folgende grundsätzliche Äußerung Goethes. Er sagt:
„ . . . man hat bisher das Licht als eine Art von Abstraktum, als ein für sich
bestehendes und wirkendes, gewissermaßen sich selbst bedingendes, bei ge-
ringen Anlässen aus sich selbst die Farben hervorbringendes Wesen an-
gesehen. Von dieser Vorstellungsart jedoch die Naturfreunde abzulenken, sie
aufmerksam zu machen, daß bei prismatischen und andern Erscheinungen nicht
von einem unbegrenzten bedingenden, sondern von einem begrenzten bedingten
Lichte, von einem Lichtbilde, ja von Bildern überhaupt, hellen oder dunklen die
Rede sei. Dies ist die Aufgabe, welche zu lösen, das Ziel, welches zu erreichen
wäre”. (§361.) — „Das Leuchtende, welches hier [in der Camera obscura] wirkt,
ist ein Begrenztes, und die Sonne wirkt hier, indem sie scheint und strahlt, als
ein Bild. Man mache die Öffnung in dem Laden der Camera obscura so klein,
als man kann, immer wird das ganze Bild der Sonne hereindringen”. (§ 309.)
1
Wie sehr Goethe von der Bedeutung seiner Lehre — und mit Recht — durch-
drungen war, bezeugen folgende Worte, die er zu Eckermann am 19. Februar
1829 sprach: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts
ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch trefflichere
vor mir und es werden ihrer nach mir sein. Daß ich aber in meinem Jahr-
hundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der Einzige bin, der das
Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute, und ich habe daher ein Be-
wußtsein der Superiorität über viele.”
Wir haben die Lehre Goethes hier ausführlicher wieder-
gegeben als es sonst dem Rahmen dieses Buches entspräche.
Unser Grund ist, daß wir in ihr eine geniale, nichtmathematische,
durchaus anschauliche und dingliche Lehre vor uns haben. Ist
auch Goethes Farbenlehre, weil ohne Lichttheorie, unvoll- /
ständig; die Grundtatsachen, auf die sich Goethe stützt, sind
unbestreitbar, und die Grundgedanken seiner Lehre unwider-
leglich. Bis heute aber übergeht die exakte Wissenschaft diese
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Goethe: Zur Farbenlehre (1810), Entwurf einer Farbenlehre, Naturwissen-
schaftliche Schriften, herausgegeben von Rudolf Steiner, Bd 3, S. 135, 192 und 176.