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offenbart uns ihr Bildungs-, Zeuge- und Entfaltungstrieb; das
Geschaffenwerden der Natur aber ist nicht nur: ihr eigenes Vor-
sinnliches darzustellen, sondern mehr: der Abglanz des Geistes
in der räumlichen Welt zu sein — durch die „Gezweiung höherer
Ordnung“ mit dem Geiste (die wir wiederholt kennenlernten
1
). /
Gebt mir Geist, und ich will Euch die Natur zu Schaffen,
Leben, ewigem Vorwärtsstürmen bringen; nehmt den Geist weg,
und die Natur wird wüst, arm, schrumpft ein. Dies sind keine
leeren Worte. Sie wollen als genaue Wahrheit genommen wer-
den. Nicht hoch genug kann die Verbundenheit der Natur mit
dem Geiste angeschlagen werden. Sie ist aber nur auf Seins-
ebenen höherer Ordnung möglich.
Vergleicht man auch hier die Natur mit dem Geiste, so leuch-
tet das Gesagte ein. Man wage folgenden Vergleich: Nimmt man
z. B. dem Menschen das Gesicht, dann bildet sich das Gehör
aus, nimmt man ihm Gehör und Gesicht, dann wirft sich alle
Kraft auf den Tast-, Geruch- und Geschmacksinn. So auch die
Natur. Die Natur denkt nicht (wenigstens nicht in der Art des
Geistes). Man stelle sie sich aber denkend vor und nehme das
Denken weg: Was kann ihr bleiben als das, was im Geiste Ge-
zweiung genannt wird, das Aneinanderwerden ihrer Elemente
in Gegenseitigkeit? Dieses Gegenseitige des Werdens treibt und
wuchert nun fort; wird machtvoller, unstillbarer Bildungstrieb,
wo sich alles teilt und das Geteilte sich aneinander gestaltet und
genießt. A b e r b e i d e m b l o ß e n T r e i b e n u n d J a g e n
k a n n e s n i c h t v e r b l e i b e n . Der Geist ist es, der den
Abglanz seines Reichtums hineinwirft, der die Natur mit Wonne
und Wesen erfüllt. Dadurch wird sie die Zeugemutter, die sich
an einem Höheren bereichert; ebenso wie sie sich diesem Höheren
darbietet, als Dienerin, Mittel und Grundlage.
Die Natur ist reich durch den Geist; der Geist hat Mittel durch
die Natur und erweitert sich — in der Sinnesempfindung —
machtvoll durch sie. So wird die Natur zur ewigen Zeuge-
mutter und Bildnerin, der Geist zum Seher, der an ihr zu sich
selbst kommt, aber auch mit ihrem Unholdentum zu ringen
hat.
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1
Vgl. auch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 180ff., 287ff. und 491ff.;
ebenda über den Begriff „Schaffen aus Geschaffenwerden” S. 219 und 309ff.