[264/265]
235
Das alles klingt uns Heutigen befremdlich, weil es sich die
positivistische Naturwissenschaft seit Geschlechtern angelegen
sein ließ, den Kraftbegriff aus der Physik gänzlich auszuschalten,
als ein angeblich „anthropomorphes“ Element, das in der
strengen Darstellung der Naturvorgänge keinen Raum habe (so
namentlich Kirchhoff und Mach
1
). Das ist rein verfahrenmäßig für
die / mathematische Physik folgerichtig, würde es jedoch völlig
durchgeführt, dann ergäbe es eine ärmere, weniger naturnahe
Mechanik; einer tieferen Naturauffassung widerspricht dies aber.
Die ernsthafte Besinnung lehrt uns, daß die Kraftempfindung
eine wesenhafte, das Innere der Natur aufschließende sei. Ein
subjektives, der Natur nicht zukommendes Element liegt nur in
dem Maße und der Art der jeweiligen Anstrengung, die wir bei
der Bewegung empfinden. Daß aber im Muskel die inneren
Spannungen und Lösungen ein Gegenstand sind, der physi-
kalische Wirklichkeit im engeren Sinne des Wortes hat (also
auf „Massenbeschleunigung“ zurückführbar ist) und als s o l -
c h e r vollgültig empfunden wird, lehrt auch der Vergleich
mit anderen Empfindungen. Wie wir im Sehen und Hören Licht
und Klang empfinden, so auch im Widerstande gegen die Bewe-
gung durch den Stoff (also durch dessen Masse, Ortbehauptung,
Gestaltbehauptung usw.) jene Innerlichkeit, welche in der Stoff-
lichkeit unseres Leibes der Massenbeschleunigung, Spannung
usw. zugrunde liegt, die Kraft.
Licht, Klang und Kraft sind Innerlichkeiten der Natur.
Wir wenden uns nach diesen grundsätzlichen Erörterungen
der Licht- und Tonempfindung im besonderen zu.
II.
Raum, Licht, Sehen
Das Verhältnis der Sinnesempfindung zur Natur führt uns
wieder auf den Begriff der Verräumlichung zurück. Wird der
1
Vgl. die oben S. 100 angeführte Äußerung von Mach; dagegen Georg Ha-
mei: „Es sei... darauf hingewiesen, daß K r a f t n i c h t e i n f a c h e i n n e u e s
W o r t f ü r M a s s e n b e s c h l e u n i g u n g i s t (wie Kirchhoff glaubte).
Kraft ist etwas ganz Neues, das durch vereinte Wirkung von Anschauung, Er-
fahrung und schöpferischer Tätigkeit des Menschen aus dem Massenbeschleu-
nigungsbegriff hervorgegangen ist, aber nimmermehr mit ihm identifiziert
werden darf”. (Hamei: Elementare Mechanik, Leipzig 1912, S. 53.) — In ähn-
lichem Sinne eindringlich Friedrich Kottje: Erkenntnis und Wirklichkeit, Leip-
zig 1920, S. 110f.; ferner Aloys Wenzl: Wissenschaft und Weltanschauung, Natur
und Geist als Probleme der Metaphysik, Leipzig 1936, S. 108.